Die ewige Bibliothek
Geschichte hören. Alles. Oder ich verabschiede mich auf der Stelle.«
»Mein lieber Professor Galen«, sagte Juda, setzte sich auf und legte sein Kinn auf die zu einer Pyramide gefalteten Hände, »ich hatte nie etwas anderes vor. Und Sie müssen zugeben«, fügte er mit funkelnden Augen hinzu, »ich habe Sie gewarnt, dass es sich um eine ungewöhnliche Geschichte handelt.«
»Das ist die Untertreibung des Jahres«, bemerkte Michael. »Es gibt noch etwas, das ich gern klarstellen möchte, bevor Sie fortfahren. Was die Bücher auch für Informationen enthalten mögen, es ist einfach unmöglich, dass sie so alt sind, wie Sie vermuten. Sogar tibetanisches Papier hält sich unter optimalen Bedingungen nicht länger als fünf- oder sechstausend Jahre. Ohne Sie beleidigen zu wollen, aber Ihre Schätzung, dass die letzteren Bücher etwa siebzigmal so alt waren, ist ein Irrtum.«
»Ich bin nicht beleidigt«, erwiderte Juda, »und ich hoffe, Sie sind es auch nicht, wenn ich Ihnen sage, dass Sie sich meiner Meinung nach irren könnten. Ich habe eine Theorie darüber, wie das möglich sein könnte, aber keinen entsprechenden Beweis, also beuge ich mich Ihrem Urteil – für den Augenblick.«
»Na schön«, sagte Michael. »Fassen wir zusammen, was sie uns bisher erzählt haben: Irgendwo in Tibet gibt es ein Kloster, wo nach Ihrer Schätzung zweihunderttausend Bände lagern, die diesem hier ähneln. Mindestens siebzehn oder zwanzig davon konnten Sie ansatzweise übersetzen. Und weil das Buch, das wir untersuchen, aus dieser Reihe stammt und ich versichern kann, dass es wenigstens tausend Jahre alt ist, können wir annehmen, dass die anderen ähnlich alt waren.«
»Das ist als Grundlage schon mal ganz gut.«
»Waren die anderen Bücher, die Sie untersucht haben, auf die gleiche Art gedruckt worden wie dieses hier?«
»Ja. Völlig identisch.«
»Ihre Einschätzung des relativen Alters der Bücher gründet sich also vollkommen auf den übersetzten Inhalt?«, fragte Galen.
»Nicht vollkommen«, sagte Juda. »Wie ich schon sagte, habe ich meine eigenen Theorien, aber ich kann diese Behauptungen im Augenblick nicht untermauern, also beuge ich mich dem Urteil des Publikums.«
»Da haben wir’s also«, sagte Michael triumphierend. »Die Bücher sind offensichtlich ein mythologischer Schatz, den die Gründer des Klosters vor einem Jahrtausend gesammelt haben. Es handelte sich um apokryphes Material – vielleicht Geschichten, die von Wanderern niedergeschrieben wurden, denen die Mönche begegnet waren, oder solche, von denen sie auf ihren eigenen Reisen erfahren hatten.«
»Wenn das stimmen würde«, gab Juda zu bedenken, »wie konnten die Blockhersteller dann von den verschiedenen Keilschriftzeichen der Sumerer gewusst haben? Oder von den Maya?«
»Muster, die sich im Laufe der Jahre ansammelten, so wie ich es gerade beschrieben habe. Eigentlich ist das eine gute Erklärung dafür, warum die Sprachen stellenweise vermischt waren und warum Sie ein Schriftstück in der Mayasprache gelesen haben, das die Gründung eines römischen Dorfes beschreibt.«
Galen lachte. »Natürlich. Haben wir wirklich geglaubt, ein Buch könnte eine halbe Millionen Jahre alt sein? Ich habe die Beherrschung verloren – es ist unverzeihlich, Ärger über die Urteile von jemandem auszudrücken, der außerhalb seines Fachgebietes arbeitet. Verzeihen Sie bitte unsere Überstürztheit.«
Juda zögerte einen Augenblick, dann erschien das vertraute Lächeln auf seinem Gesicht und er lehnte sich auf dem Sofa zurück. »Natürlich. Warum sonst sollte ich Ihnen eine solche Handschrift bringen, wenn nicht, um meine dürftigen Schätzungen zu bestätigen?«
»Es gibt noch etwas, das ich nicht verstehe«, sagte Michael, die Nase nur wenige Zentimeter von dem einzelnen Blatt entfernt, das er neben das Buch gelegt hatte. »Wenn wir das alles als Grundlage akzeptieren, wie kommen dann Wagners und Liszts handgeschriebene Anmerkungen auf die Blätter? Ich kann mich nicht entsinnen, dass einer von beiden jemals eine Wallfahrt nach Tibet unternommen hätte.«
»Ja«, sagte Galen. »Lassen Sie uns den Kreis der Unterhaltung schließen – woher haben Sie dieses Buch, Juda? Sie haben ein Kloster erwähnt. Shangri-La?«
»Das ist richtig«, sagte Juda, »aber von jetzt an, glaube ich, sollte ich es bei dem Namen nennen, unter dem wir es kennen gelernt haben – Meru.«
KAPITEL FÜNF
Die Schule der Geheimnisse
»Was haben Sie in Tibet gemacht?«, fragte
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