Die ewige Bibliothek
stehen. Warum haben Sie sich nur die ersten sieben angesehen?«
»Weil«, sagte Juda, »es danach zu wenige Hinweise gab, mit deren Hilfe ich die Syntax der Sprachen, die ich nicht kannte, hätte extrapolieren können.«
»Syntax extrapolieren? Sie haben Sprachen gelernt, während sie sie übersetzt haben? Wäre es nicht einfacher gewesen, irgendwie Abschriften zu machen und diese zu vergleichen?«
»Sicher«, sagte Juda, »wenn ich es mit existierenden Sprachen zu tun gehabt hätte – was aber nicht der Fall war. Ab einem bestimmten Punkt hatten sie nichts Erkennbares mehr an sich und ich musste aus dem verfügbaren Material so viel extrapolieren wie ich konnte, und in einigen Fällen erfinden.«
»Erfinden?«, stieß Michael hervor. »Wie alt waren die Bücher?«
»Das ist schwer zu sagen – obwohl mir das Durchsehen der ersten sieben in umgekehrter Reihenfolge einen ungefähren Zeitrahmen lieferte. Und die Extrapolation gemeinsamer linguistischer Elemente, die in den Übrigen in abnehmender Anzahl auftraten, gestattete mir eine über den Daumen gepeilte Schätzung ihrer historischen Spannweite.«
Michael hustete. »Wie… wie lange?«
»Etwa zwei Millionen Jahre, grob geschätzt.«
Galen hob lediglich eine Augenbraue, doch Michael sah aus, als habe man ihm eine Kugel in die Brust geschossen. Juda hätte über den Ausdruck auf dem Gesicht des Historikers gelacht, hätte er ihn nicht vorausgesehen. »Soll ich fortfahren?«
»Bitte.«
»Der nächst ältere Band, wenn wir gerade von biblischen Dingen reden, war auf Aramäisch verfasst. Es handelte sich um ein Exemplar der fünf Gesetzesbücher aus judaischer Zeit – das Pentateuch der hebräischen Bibel, von dem man im allgemeinen annimmt, dass Moses es geschrieben hat.«
»Hat er das nicht?«
»Oh doch, tatsächlich«, sagte Juda fröhlich, »aber der Band, den ich gesehen habe, war ungefähr um vierzig Prozent länger als die am ausführlichsten interpretierte Ausgabe der Schrift – und der größte Teil des zusätzlichen Materials stammte aus der Zeit vor Adam.«
»Wie konnte es aus der Zeit vor Adam stammen? Welche Auslegung der Bibel würde dafür Raum bieten?«
»Sie sehen den Widerspruch«, sagte Juda. »Und Sie bringen wieder einmal Geschichte und Religion durcheinander. Moses hat nicht für die sofortige Veröffentlichung geschrieben, sondern für die Nachwelt. Das war eine Sache, die Jesus im Schlaf konnte – wenn man jemandem etwas beibringen will, erfindet man am besten Gleichnisse und überlässt die Geschichte den Historikern. Wenn irgendeine Fassung dieses Materials tatsächlich die Jahrhunderte überstanden und den Presbytern oder dem Vatikan vorgelegen hat, liegt es wohl auf der Hand, dass keine der Gruppen davon profitiert hätte, bekannt zu geben, dass Adam nicht nur einen Vater hatte, sondern außerdem der sechste Sohn einer elfköpfigen Familie war.«
»Adam war also nicht der erste Mensch?«
»Das ist er ohnehin nicht gewesen – es sei denn, Sie wollen den Chinesen erzählen, dass die Datierung ihrer Einwanderungen um tausend Jahre daneben liegt«, sagte Juda. »Aber ich schweife ab. Der dritte und vierte Band waren älter als Moses und in ihrem chronologischen Bezugsrahmen undeutlich. Sie waren auf Akkadisch verfasst.«
»Da komme ich nicht mehr mit«, gab Galen zu.
Wie auf ein Stichwort setzte Michael ein. »Akkadisch ist das älteste bekannte Mitglied der semitischen Sprachfamilie, das Sumerisch als die weit verbreitetste Sprache in Mesopotamien ablöste. Sie wurde fast zweitausend Jahre lang von den Babyloniern und Assyrern gesprochen.«
»Gut auf den Punkt gebracht. Der Text war in der Keilschrift verfasst, die von den Sumerern erfunden wurde, und er erzählte die Geschichte eines Stammes von Riesen, der die Gegend des Tals zwischen Euphrat und Tigris bis zur heutigen Afghanischen Wüste beherrschte.«
»Interessant. Was ist mit den Riesen passiert?«
Zögerte Juda, bevor er antwortete? Michael konnte es nicht mit Sicherheit sagen.
»Ich weiß es nicht«, sagte Juda. »Die Bände lagen weit auseinander, aber beide wurden im kulturellen Aufbruch geschrieben. Was mit ihnen geschehen ist, ist ein Rätsel, das ohne genauere Texte aus jener Epoche wohl kaum gelöst werden wird.«
»Damit habe ich nur zwei Probleme«, sagte Michael. »Die Sumerer schrieben mit Griffeln auf nassen Tontafeln. Wenn die Bücher, die Sie gesehen haben, authentisch waren, erscheint es dann nicht logisch, dass sie auf dieselbe Art geschrieben
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