Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die ewige Bibliothek

Die ewige Bibliothek

Titel: Die ewige Bibliothek Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A. Owen
Vom Netzwerk:
und nippte an der grünen Flüssigkeit in seinem Glas. »Am zweiten Tag haben wir zwar ein paar Ziegen gesichtet und hofften, wir könnten eine zum Essen einladen. Aber wir konnten es mit ihrer Behändigkeit auf den steilen Felsen nicht aufnehmen. H unternahm einen Versuch, doch es brachte ihm lediglich einen gebrochenen Knöchel ein. Wir haben uns also von Pflanzen ernährt – hauptsächlich Flechten, und von geschmolzenem Schnee. Wir hatten außerdem das Glück, dass keine stärkeren Stürme über uns hereinbrachen, sonst wären wir ohne Zweifel umgekommen.«
    »Wie sind Sie überhaupt vorangekommen, wenn der Journalist einen gebrochenen Knöchel hatte?«, fragte Galen.
    »Wie ich schon sagte, H verfügte über ein bemerkenswertes Maß an Entschlossenheit. Wir verbanden seinen Fuß mit Stoffstreifen, die wir aus unseren Kleidern gerissen hatten, und der Narr wanderte weiter. Tatsächlich ist es nicht mir, sondern ihm zu verdanken, dass wir Meru entdeckten. Wir waren über ein weites grasbewachsenes Plateau gewandert und bereits weit hinabgestiegen, als wir auf eine etwa fünf Meter hohe Steinpyramide stießen. Aus ihrer Spitze ragte so etwas wie ein Mast, der mit Stoffbahnen umwickelt war – offenbar handelte es sich um einen religiösen Schrein. Ich ging daran vorbei und würdigte ihn kaum eines Blickes – aber H und unser Pilot, der Hammurabi hieß, wie ich inzwischen erfahren hatte, blieben einige Schritte hinter mir stehen. Ich nahm an, sie wären stehen geblieben, weil H Schwierigkeiten mit seinem Knöchel hatte, aber in Wirklichkeit konnten sie sich nicht entscheiden, welches der richtige Weg war, die Pyramide zu umrunden.«
    »Der ›richtige Weg‹?«, fragte Galen. »Ich hätte gedacht: ›so schnell wie möglich‹ wäre der richtige Weg.«
    »Das habe ich auch gedacht – aber H brachte fremden Kulturen ein ungewöhnliches Maß an Respekt entgegen, und das bildete den Kernpunkt der Diskussion. Hammurabi war Muslim und glaubte, dass ein religiöses Monument links umgangen werden müsse, während H davon überzeugt war, dass es sich um ein buddhistisches Monument handelte, und er es daher rechts umgehen sollte.«
    »Großer Gott«, sagte Michael. »Sauerstoffmangel, das war das Problem. Wie haben Sie es gelöst?«
    »In typischer H-Manier. Er schlug vor, dass jeder von ihnen das Monument in der von ihm gewählten Richtung umgehen solle, aber rückwärts – aus Ehrerbietung – und wenn sie es umrundet hätten, würden sich ihre Pfade wieder kreuzen. So würden sie beide Möglichkeiten auf demütigste Weise in die Tat umsetzen. Ich setzte mich also auf einen Stein und sah zu, wie diese beiden dünnen, ausgehungerten, ehrerbietigen Idioten um die buddhistische Pyramide schritten – in Hs Fall humpelten –, als mich von hinten plötzlich ein Schlag traf.«
    »Hmm«, ließ sich Galen vernehmen. »Räuber, nehme ich an.«
    »Genau genommen eine alte Bäuerin. Über der einen Schulter trug sie einen Sack, und in der anderen Hand hielt sie einen Gehstock, der ziemlich stabil war, wie ich bezeugen kann.«
    »Hatte sie sich vielleicht im Gras versteckt, oder hinter der Pyramide?«, fragte Michael.
    »Nein. Das Gras war nur wenige Zentimeter hoch und meine beiden Gefährten traten einander auf die Füße, während sie das Monument umrundeten. Sie ist einfach aufgetaucht – von einem Moment zum nächsten.«
    »Eine Zen-Illusionistin«, sagte Galen mit einem Anflug von Sarkasmus. »Haben Sie das dort gelernt?«
    »Ja.«
    Keiner der beiden Männer hatte diese Antwort erwartet, besonders Galen nicht, der nur einen Scherz gemacht hatte – doch Judas ruhiger Blick und die schlichte Ehrlichkeit seiner Antwort ließen darauf schließen, dass er nicht scherzte.
    »Sie schlug mich noch einmal mit dem Stock, wandte sich dann um und stolzierte davon. Harn und H kamen herbeigeeilt und wollten wissen, woher sie gekommen war und warum sie mich geschlagen hatte. Ich wollte gerade zu einer Antwort ansetzen, als sie sich umwandte und uns schroff fragte, ob wir ihr folgen würden oder ob wir vorhätten, weiter wie Yak-Mist im Freien herumzusitzen. Wir folgten ihr natürlich – sie hatte offensichtlich ein Ziel, und wo immer sie hinging, gab es vermutlich Wärme, Schutz vor dem Wetter, Essen oder alle drei Dinge zusammen. Nach mehreren Kilometern wurde klar, dass es wieder bergauf ging. Wir passierten ein schmales Tal und kamen an einigen weiteren Monumenten vorbei – alle weit genug entfernt, um Diskussionen über

Weitere Kostenlose Bücher