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Die ewige Bibliothek

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Titel: Die ewige Bibliothek Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A. Owen
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von Menschen stürmten die Bühne und zogen Mikaal Gunnar-Galen in den Orchestergraben, wo die Musiker noch immer in starrem Entsetzen saßen. Niemand kam Michael zu Hilfe, da noch kaum jemand wirklich wusste, was geschehen war – außer, dass eine Waffe gezogen und Blut vergossen worden war, und dass die einzigen Menschen auf der Bühne ein in Ungnade gefallener wahnsinniger Bariton und ein Fremder waren, den man gar nicht erst auf die Bühne hätte lassen dürfen.
    Das Orchester floh durch den Wartungsbereich im hinteren Teil des Saales, und Galen wurde von einem Meer zuckender Hände davongetragen. Innerhalb von Minuten hatten alle Zuschauer das Festspielhaus verlassen. Nur Michael blieb zurück; sein Gesicht war weiß und sein Blut lief über den Boden. Ganz kurz sah er das Licht der Eingangshalle, als sich die Türen an der Vorderseite des Gebäudes öffneten und schlossen. Er lauschte, als langsame, gemächliche Schritte die Gänge entlang wanderten, auf der linken Seite die Stufen zur Bühne herauf und durch die Kulisse schritten, bis sie einige Meter entfernt von der Stelle stehen blieben, an der er lag.
    »Hallo«, sagte Juda ruhig, während er eine Hüfte gegen die falsche Balustrade direkt über dem Orchestergraben lehnte. »Ich dachte, wir könnten uns ein paar Minuten unterhalten, nachdem sich die ganze Aufregung nach draußen verlagert hat und Sie wahrscheinlich nicht mehr sehr lange leben werden.«

 
KAPITEL ZWÖLF
Der Hut-Trick
     
    »Wissen Sie«, sagte Juda im Plauderton, »der schwierigste Teil des ganzen Jahres war die erste Woche: Ich musste jede Erwähnung eines bestimmten Mordes aus allen Zeitungen ausschneiden lassen, in denen er auftauchte, und das war eine verdammt aufwändige Arbeit. Am Ende musste ich fast siebzig Studenten anheuern, aber sie haben es geschafft.«
    Michael war vom Blutverlust ganz schwindelig. Er drehte seinen Kopf herum, während er das Gehörte zu begreifen versuchte. »Studenten…? Sie haben… Studenten… angeheuert… um… Zeitungsartikel auszuschneiden…?«
    »Fast neunzigtausend Zeitungen, der abschließenden Zählung zufolge. Sicher, sie haben sich reichlich beklagt. Aber die meisten von ihnen waren es gewohnt, sich Plasma heraussaugen zu lassen oder in einen Becher zu wichsen, für den selben Betrag, den ich ihnen dafür bot, durch die Stadt zu radeln und Artikel aus Zeitungen auszuschneiden. Karrieremäßig nicht gerade ein Aufstieg, aber so ist das Akademikerleben.«
    »Ich… ich verstehe nicht…«, antwortete Michael schwach.
    »Ich weiß und ich bedaure das, wenn auch sonst nichts – deshalb bin ich hier, um einige Dinge klarzustellen, bevor Sie sterben.«
    »Ich werde nicht… Krankenwagen…«
    »Ich fürchte, doch«, sagte Juda sachlich. »Und ich würde mich nicht darauf verlassen, dass der Notarzt rechtzeitig hier eintrifft. Haben Sie es noch nicht bemerkt? Sie sind derjenige, der niedergestochen wurde, aber im Augenblick ist jedermann nur damit beschäftigt, dass einer der wichtigsten Administratoren der ältesten Universität im gesamten deutschsprachigen Raum ausgerechnet in Bayreuth durchgedreht ist. Ich schätze, es wird gute zehn Minuten dauern, bevor sich überhaupt irgendjemand an Sie erinnert.«
    Michael nahm genug Kraft zusammen, um sich auf einen Ellbogen aufzurichten, bevor er wieder in die klebrige, dunkelrote Lache zurückfiel, die sich unter ihm bildete. »Was hatten die Zeitungen damit zu tun?«
    »Ich musste verhindern, dass Sie das hier lesen.« Juda ging rasch in die Hocke und zog einen zerknitterten Zeitungsausschnitt aus seiner Tasche. Er faltete ihn auseinander und strich ihn glatt, um ihn Michael vors Gesicht zu halten, damit der schwächer werdende Mann ihn entziffern konnte. Als er den erwarteten Ausdruck von Bestürzung und Erkenntnis sah, steckte er das Papier wieder weg.
    »Wasily?«, keuchte Michael. »Wasily Strugatski? Tot?« Er sah Juda an, und seine Augen zuckten angstvoll hin und her. »Haben… Haben Sie ihn umgebracht?«
    »Ich? Wo denken Sie hin. Ich kenne von ihm nur seine Abstammung väterlicherseits und was ich in diesem Zeitungsausschnitt gelesen habe. Warum fragen Sie?«
    Michael lachte leise, ein schwaches, glucksendes Geräusch. »Ja, natürlich… Sie sind der große Intrigant, erinnern Sie sich? Und Sie… Sie haben nicht gewusst, dass Wasily und ich beinahe so was wie… wie Verwandte waren?«
    »Verwandte?«, rief Juda aus und schien zum ersten Mal, seit er den Opernsaal betreten hatte, selbst

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