Die ewige Prinzessin: Historischer Roman (German Edition)
waren das Bahrtuch und die Gewänder der Trauernden durchgeweicht.
Hunderte von Menschen waren vor ihre Türen getreten, um den traurigen Leichenzug zu sehen, der durch die Stadt bis zur Kathedrale ging. Hunderte weinten um den Verlust der Rose von England. Nachdem Arthurs Sarg in die Gruft unter dem Chor gesenkt worden war, zerbrachen die Bediensteten seines Haushaltes ihre Amtsstäbe und warfen sie in das Grab ihres verstorbenen Herrn. Alles war vorüber. Alles, worauf sie im Dienste eines so jungen und viel versprechenden Prinzen gehofft hatten, war vorüber. Arthur war nicht mehr. Es war ein Ende, nach dem es keinen Neubeginn zu geben schien.
***
Nein, nein, nein.
***
Im ersten Trauermonat blieb Catalina in ihren Gemächern. Lady Margaret und Doña Elvira berichteten, dass sie zwar krank sei, jedoch nicht in Lebensgefahr schwebe. Doch sie fürchteten um Catalinas Verstand. Die Prinzessin tobte nicht und weinte nicht, sie wütete nicht gegen das Schicksal oder rief nach der Mutter, sondern lag da wie eine Tote, still das Gesicht zur Wand gekehrt. Die in ihrer Familie verbreitete Veranlagung, sich der Verzweiflung hinzugeben, brachte sie in arge Versuchung. Catalina wusste, dass sie Tränen oder Trauer keinen Raum geben durfte, denn wenn sie sich erst einmal gehen ließ, dann gab es kein Halten mehr. Im langen Monat ihrer Abgeschiedenheit biss sie die Zähne zusammen. Sie brauchte all ihre Willenskraft, um nicht vor Schmerz laut herauszuschreien.
Wurde Catalina am Morgen geweckt, so sagte sie den Bediensteten, sie sei müde. Die Zofen wussten nicht, dass sie sich kaum zu regen wagte aus Angst, vor Trauer zu ächzen. Nachdem die Prinzessin angekleidet war, pflegte sie in ihrem Sessel zu sitzen wie eine Statue. Sobald es angemessen erschien, ging sie wieder zu Bett, lag auf dem Rücken und schaute zu dem vielfarbigen Betthimmel auf, den sie so oft mit halb geschlossenen Augen im Liebesrausch betrachtet hatte - und wusste, dass Arthur sie niemals wieder in den Arm nehmen würde.
Man ließ Dr. Bereworth kommen, aber als Catalina den Arzt erblickte, bebten ihre Lippen, und ihre Augen füllten sich mit Tränen. Rasch wandte sie den Kopf ab und begab sich in ihre Schlafkammer und schloss die Tür. Sie konnte den Anblick dieses Mannes nicht ertragen, der Arthur hatte sterben lassen, während seine Freunde zuschauten. Sie brachte es nicht über sich, mit ihm zu sprechen. Sie verspürte eine mörderische Wut auf diesen Arzt, der ihren jungen Mann hatte sterben lassen. Er sollte tot sein, nicht Arthur.
»Ich fürchte, ihr Verstand hat Schaden genommen«, sagte Lady Margaret zu dem Arzt, nachdem sie gehört hatten, wie in Catalinas Kammer der Riegel vorgeschoben wurde. »Sie schweigt, sie weint nicht einmal um ihn.«
»Nimmt sie etwas zu sich?«
»Wenn man ihr etwas vorsetzt und ihr gut zuredet ...«
»Lasst jemanden kommen, einen Vertrauten - vielleicht ihren Beichtvater -, der ihr etwas vorlesen soll. Etwas Ermutigendes.«
»Sie will aber niemanden sehen.«
»Könnte sie guter Hoffnung sein?«, flüsterte der Arzt. Dies war die einzige Frage, die im Augenblick zählte.
»Ich weiß es nicht«, erwiderte Lady Margaret. »Sie hat nichts gesagt.«
»Sie trauert um ihn«, sagte Dr. Bereworth. »Sie trauert, wie eine junge Frau eben um ihren verlorenen Ehemann trauert. Wir lassen sie besser in Ruhe. Soll sie sich ihrem Schmerz hingeben. Sie wird schon früh genug wieder Stärke zeigen müssen. Soll sie an den Hof zurückkehren?«
»Der König befiehlt es«, antwortete Lady Margaret. »Die Königin schickt ihre eigene Sänfte.«
»Nun, wenn es so weit ist, wird sie sich besinnen müssen«, sagte der Arzt beschwichtigend. »Sie ist ja noch jung. Sie wird es überstehen. Die Jugend besitzt ein starkes Herz. Und wenn sie erst einmal diesen Ort mit seinen traurigen Erinnerungen verlassen hat, wird es ihr besser gehen. Wenn Ihr noch Rat braucht, lasst mich rufen. Aber ich werde mich dem armen Kinde gewiss nicht aufdrängen.«
***
Nein, nein, nein.
***
Aber Catalina sah nicht wie ein armes Kind aus, fand Lady Margaret. Sie gemahnte vielmehr an eine Statue: eine aus Trauer gemeißelte, steinerne Prinzessin. Doña Elvira hatte sie in die neuen Trauergewänder gekleidet und ans Fenster gesetzt, wo die Prinzessin die grünen Bäume und blühenden Hecken im Garten sehen konnte. Sonnenschein ergoss sich über die Felder, und die Vögel zwitscherten. Der Sommer war gekommen, wie Arthur es ihr versprochen
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