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Die ewige Straße

Die ewige Straße

Titel: Die ewige Straße Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack McDevitt
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gelten. Bent Capa zum Beispiel nuschelte beim Essen nur unverständlich vor sich hin, doch wenn er in einem der Höfe vortrug, demonstrierte er eine geradezu verblüffende Redegewandtheit.
    In den Seminaren wurden zwar Themen vorgegeben, doch eine Diskussion konnte jeden nur denkbaren Verlauf nehmen, wenn sie erst in Gang war. Es gab keinen offiziellen Lehrplan, und die Philosophie der Institution sah mehr Sinn in der fruchtbaren Auseinandersetzung mit weisen Lehrern, als in der Vermittlung eines statischen Wissens. Und wenn man das Interesse der Zuhörer bedachte, dann konnte dieses System gar nicht versagen.
    Der Tod Karik Endines hatte in zahlreichen Seminaren Diskussionen ausgelöst, insbesondere im Hinblick auf Haven und die Legende von Abraham Polk. Die Bibliothekare berichteten, daß beide Kopien der Reisen seitdem in ständiger Benutzung waren. Polk wurde zum Thema Nummer Eins: Hatte er tatsächlich existiert? Oder war er nur ein Mythos? Und falls er gelebt hatte – hatte er sich wirklich zum Ziel gesetzt, das Wissen der Straßenbauer zu retten?
    Silas schwankte in dieser Sache zwischen mehreren Überlegungen. Selbstverständlich wollte er gerne an die Geschichte von einem Abenteurer glauben, der am Abgrund einer sterbenden Welt gelebt und mit einer kleinen Gruppe ergebener Begleiter einen verzweifelten Feldzug gestartet hatte, um die Erinnerung an seine Welt für den Tag aufzubewahren, an dem die Zivilisation zurückkehrte. Es war ein wunderbarer Gedanke.
    Und es war möglich.
    Selbstverständlich durfte man nicht alles wörtlich nehmen. Ganz sicher hatte es beispielsweise niemals eine Quebec gegeben, dieses geheimnisvolle Schiff, das weder Segel noch Ruder besessen hatte und imstande gewesen war, in die Tiefen des Meeres hinabzutauchen. Genausowenig wie den unterseeischen Eingang zu Haven, der, wollte man der Legende glauben, nur mit Hilfe des Tauchschiffs benutzbar war. Auch konnte Polk unmöglich so viele Menschen gerettet haben, wie man ihm nachsagte.
    Vielleicht hatte Polk existiert. Vielleicht hatte irgend jemand versucht, irgend etwas in Sicherheit zu bringen. Und dann war die Geschichte immer weiter aufgebauscht worden. Und in diesem Sinn mochte es durchaus irgendwo ein Haven geben.
    Am Tag nach seiner Unterhaltung mit Quait kam eine Besucherin, eine Priesterin aus dem Tempel, und nahm zwischen den Teilnehmern an Silas’ Seminar Platz. Neun andere waren noch gekommen, alles junge Männer. Das angekündigte Thema lautete: »Können Menschen den göttlichen Willen erkennen?«
    Frauen war die Teilnahme an den Seminaren des Imperiums zwar nicht ausdrücklich verboten, doch sie wurde seitens der Obrigkeit auch nicht gern gesehen. Die Begründung lautete, daß die Platzverhältnisse beengt wären und die intellektuelle Entwicklung der Jungen von größter Bedeutung sei, weil aus ihnen eines Tages die Führer der Liga hervorgehen würden. Trotzdem kamen von Zeit zu Zeit Frauen in die Seminare, und sie waren herzlich willkommen, wenn sie besondere Kenntnisse beisteuern konnten oder ein berufliches Interesse an den Vorgängen hatten.
    Silas nahm sich ein paar Minuten, in denen sich jeder der Teilnehmer den anderen vorstellte. Nur die Priesterin war ihm völlig unbekannt.
    »Mein Name ist Avila Kap«, sagte sie. »Ich repräsentiere niemanden und bin einzig und allein gekommen, weil ich das Thema faszinierend finde.« Sie lächelte entwaffnend.
    Avila war um die Dreißig. Sie trug die grüne Robe ihres Berufsstandes, hatte die Kapuze in den Nacken gelegt, eine weiße Schärpe über der rechten Schulter und eine weiße Schnur um den Leib geschlungen. Die Farben der Ersten Weihe. Ihr Haar war schwarz und kurz geschnitten. Sie blickte mit dunklen, intelligenten Augen um sich, in denen es spöttisch funkelte – als wollten sie den Ruf des Imperiums als eine vernunftbasierte Institution in Frage stellen. Silas fand, daß ihr gutes Aussehen durch die Robe eher noch betont wurde.
    Er verkündete die Regeln für die anschließende Diskussion.
    »Um den Nachmittag nicht mit belanglosen Fragen zu vergeuden, gehen wir bei unserer Diskussion bewußt davon aus, daß göttliche Wesen existieren und sich für die Angelegenheiten der Menschen interessieren. Damit lautet die Frage: Haben sie je versucht, mit uns zu kommunizieren? Und wenn ja: Woran erkennen wir eine göttliche Offenbarung?«
    Kaymon Rezdik, ein Händler mittleren Alters, der die Seminare in unregelmäßigen Abständen besuchte, solange Silas sich

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