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Die ewige Straße

Die ewige Straße

Titel: Die ewige Straße Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack McDevitt
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und bewachten Hunde das Haus? (Sie konnte sich nicht erinnern, Hunde gesehen oder gehört zu haben.) Und während sie warm und sicher in ihrem großen Bett lag, wurde ihr nach und nach bewußt, daß es kein wirkliches Hindernis gab. Und daß sie es ihrem Bruder schuldig war.
    Sie dachte daran, wie einfach alles sein würde, und ihr Herz klopfte schneller.
     
    Als Silas mit Chaka darüber gescherzt hatte, in Kariks Villa einzubrechen, hatte er zwar den Wunsch geäußert, daß es geschehen möge, doch er hatte sich gleichzeitig gewünscht, es nicht selbst tun zu müssen. Nicht, daß er ein Feigling gewesen wäre. Seine Schulter schmerzte noch heute von einer Kugel, die ihn während seiner Zeit beim Militär erwischt hatte. Er war während der sechs Monate dauernden Seuche als einer der wenigen nicht geflohen, sondern hatte den Priestern geholfen, sich um die Opfer zu kümmern. Und einmal hatte er, mit nichts als einem Stock bewaffnet, einen Puma vertrieben.
    Silas war auch nicht zimperlich, wenn es um die Übertretung oder Beugung eines Gesetzes ging, das ihm in den Weg geriet. Wie er seinen Studenten immer wieder predigte: Gesetze waren Gesetze, und Ethik war Ethik. Trotzdem schreckte ihn das mit einem Einbruch verbundene Risiko. Wie würde es aussehen, wenn ein Gelehrter, der Ethik unterrichtete, dabei überrascht wurde, wie er in das Haus eines Freundes einbrach?
    Er lächelte noch bei dem Gedanken, als er den Vorlesungsraum betrat, um ein abendliches Seminar abzuhalten.
    Das Imperium war keine akademische Institution im traditionellen Sinn. Die Studenten waren im allgemeinen privilegiert und begabt, und sie nahmen aktiv an den immerwährenden Bestrebungen teil, das menschliche Wissen zu mehren. Oder es wiederzuentdecken, denn es war nur allzu offensichtlich, daß eine ganze Menge davon verlorengegangen war.
    Die Fragen, die sich wie selbstverständlich aus der unleugbaren Existenz der Ruinen ergaben, dominierten das gesamte Denken der Illyrer. Wer waren ihre Erbauer? Welche Gesetze und welche Regierungsformen hatten ihre Gesellschaft zusammengehalten? Welche Ziele hatten sie verfolgt? Wie groß war ihr Territorium?
    Die jungen Männer kamen, wenn ihre eigenen Verpflichtungen dies zuließen, und sie diskutierten mit den Gelehrten über Philosophie oder Geometrie, die zufällig gerade anwesend waren. Ihr Antrieb hieß Stolz oder Neugierde, sie waren hoch motiviert, und sie wollten die Straßenbauer verstehen. Das war ein sehr wichtiges Ziel, weil etwas viel Bedeutsameres als nur Technologie verlorengegangen war. Die Große Seuche hatte ohne Unterschied getötet und ganze Landstriche entvölkert. Und mit der Bevölkerung war die treibende Kraft verschwunden, die für die gewaltigen Straßen und die scheinbar den Himmel berührenden Bauwerke verantwortlich war. Außerhalb der Mauern des Imperiums galt das gesellschaftliche Streben einzig der Erhaltung der politischen Stabilität und des wirtschaftlichen Status quo und in kaum wahrnehmbarem Maß dem Fortschritt.
    Die Anstrengungen des Imperiums wurden aus Steuern finanziert, aus Spenden reicher Eltern und zunehmend auch von denen, die in ihrer Jugend selbst Schüler oder Studenten gewesen waren und noch heute regelmäßig kamen, um sich an Diskussionen zu beteiligen. Die Themen reichten von der Himmelsmechanik über die Existenz der Götter bis hin zu der komplizierten Beziehung zwischen Durchmesser und Umfang eines Kreises. (Eine Gruppe von Skeptikern benutzte die letztgenannte Tatsache als Argument für ihre Theorie, daß das gesamte Universum schlecht durchdacht und irrational sei.)
    Die neun Gelehrten, die am Imperium unterrichteten, waren nicht nur wegen ihres Wissens, sondern auch wegen ihrer Fähigkeit zur Inspiration anderer ausgewählt worden. Sie waren ebensosehr Lehrer wie Entertainer, und sie waren darüber hinaus die besten Entertainer ganz Illyriens. Silas war stolz auf seine Arbeit und betrachtete sich selbst – nicht zu Unrecht – als einen der führenden Bürger der Stadt.
    Er war sich durchaus der Tatsache bewußt, daß die Person Silas Glote zwei Seiten besaß: die eine war scheu und unsicher und haßte den Besuch von Massenveranstaltungen, wo man von ihr erwartete, daß sie sich mit Fremden unterhielt, und die andere war durchaus imstande, Menschen, die sie niemals zuvor gesehen hatte, mit Witz und Weisheit zu überwältigen. Tatsächlich schien diese Tendenz zu einer gespaltenen Persönlichkeit in gewissem Maß für sämtliche neun Lehrer zu

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