Die ewige Straße
unter Zuhilfenahme des Übernatürlichen erklärbar schien. Seine alten Überzeugungen, daß es auf der Welt weder Götter noch Dämonen gäbe, klangen ziemlich dünn hier draußen, weit außerhalb der sicheren Mauern des Imperiums. Trotzdem hätte er es als beschämend empfunden, weniger Mut als eine Frau zu zeigen. Quait teilte seine diesbezügliche Einstellung, und so blieb am Ende nur noch Flojian übrig, um mit gesundem Menschenverstand (wie er es nannte) für die Rückkehr zu argumentieren.
Shannon hörte, wie er sich unruhig im Schlaf hin und her warf und wußte, daß Flojian überlegte, ob er mit den anderen über den Fluß in verwünschtes Land vorstoßen oder versuchten sollte, allein und auf eigene Faust zurückzukehren. Shannon wußte, wie Flojians Entscheidung aussehen würde.
Im ersten Morgengrauen waren sie schon wieder auf den Beinen. Alle hofften, bis Sonnenuntergang über den Fluß und weit weg zu sein von dem Ort der unheimlichen Erscheinung. Lange Zeit standen sie am Ufer und starrten zur anderen Seite hinüber, wo ein bewaldeter Hügelrücken den Fluß überragte. Ein Teilstück des Rückens, ungefähr in der Mitte, zweigte zu einem Sims ab, das sich eben und flach und ohne Bewuchs ungefähr in der Mitte zwischen Ufer und Kamm hinzog. Dort, auf einer Art Esplanade, so waren sich alle einig, war der Drache, der Inkala, zur Ruhe gekommen.
Sie entdeckten sogar seine Spur:
Ein langer, genau definierter Korridor, nur spärlich bewachsen, fast wie eine der alten Straßen, verlief ein Stück parallel zum Ruß und bog dann nach Nordwesten ab.
Doch Chaka zweifelte. »Er war über den Bäumen, als er sich näherte. Über diesem Weg.«
»Trotzdem«, beharrte Shannon. »Die Verbindung ist offensichtlich. Das ist der Weg, über den der Drache gekommen sein muß.«
Silas grunzte und schob die Hände in die Taschen. »Mich interessiert eigentlich viel mehr, was das für eine Kreatur gewesen ist.«
Avila schirmte mit der Hand die Augen ab. »Wir sollten uns jedenfalls von ihr fernhalten«, sagte sie. »Nichts auf dieser Welt kann sich so bewegen …«
Sie folgten Landon Shays Markierungen stromaufwärts bis zur Brücke.
Es war nicht außergewöhnlich groß. Der Fahrweg selbst war vielleicht hundert Fuß breit und hatte dicke Geländer aus Metall, die merkwürdigerweise nur kniehoch waren. Zwei massive Pfeiler stützten das Bauwerk, doch einer der beiden auf der gegenüberliegenden Seite, schien tief im Flußbett eingesunken und hatte Gebälk und Stahlträger mitgezogen, bis die Brücke nachgegeben hatte. Ein gutes Stück war aus der Mitte herausgebrochen und lag nun untergetaucht im kristallklaren Wasser. Und so gab es nun zwei halbe Brücken, die eine fünfzig Fuß höher als die andere, verbunden nur durch ein paar dünne Metallträger und Kabel und einen schmalen verbogenen Laufsteg.
Der Laufsteg verlief ein wenig höher und seitlich von der eigentlichen Brücke. Einst war er von einem Geländer und einem Maschendraht umgeben, wahrscheinlich, um ein Gefühl von Sicherheit zu vermitteln und Unfälle zu vermeiden. Jetzt war der Draht zerfetzt und das Geländer zerbrochen. An einigen Stellen baumelte der Maschendraht über dem Wasser, an anderen war er völlig verschwunden.
Der Weg selbst war so schmal, daß drei Leute nicht nebeneinander hätten stehen können. Doch er war intakt. Selbst dort, wo die eigentliche Brücke nicht mehr existierte, hatte er den Einsturz überstanden und schwankte nur leicht im Wind.
»Ich kann nicht sagen, daß ich mich darauf freue«, bemerkte Silas.
Chaka blinzelte in die Sonne. »Ziemlich hoch bis dort oben.«
Shannon schüttelte den Kopf. Der Fluß war breit und tief, soweit das Auge reichte. »Ich bin immer noch der Meinung, daß wir lieber nach einer Furt suchen sollten«, sagte er.
»Die Entscheidung haben wir doch bereits gestern abend getroffen«, widersprach Quait. »Die Brücke sieht wahrscheinlich viel schlimmer aus, als sie in Wirklichkeit ist.«
»Vielleicht hast du recht«, sagte Silas. Sie standen am Fuß der Rampe, wo der Laufsteg nur ein gewöhnlicher Weg war. »Ist jemand unter uns, der Angst vor der Höhe hat?«
»Wir alle«, sagte Chaka.
»Hast du deine Meinung geändert?« erkundigte sich Silas.
»Mir ist ganz egal, wie wir auf die andere Seite kommen«, erwiderte Chaka, »wenn wir nur endlich damit anfangen.«
»Die Pferde werden sich ängstigen«, gab Flojian zu bedenken. Er machte kein Hehl aus seiner Überzeugung, daß sie umkehren
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