Die Ewigen Jagdgruende der Frau Weinwurm
hatte eine
tolle Zeit in einer WG und dann hab ich Innenarchitektur studiert, was du dir
wahrscheinlich gedacht hast.«
Mit
weit ausholender Geste umschrieb Liliane das Wohnzimmer und Frau Weinwurm
betrachtete den überladenen Raum mit schief geneigtem Kopf.
»Nein,
das habe ich mir nicht gedacht. Ich dachte immer, dass du... wie ich... nicht
so was Tolles... kein Luxus... kein gar nichts...?«
»Wir
haben auch eine Finca auf Mallorca, logisch, am Wochenende hüpfst du schnell in
den Flieger und schon bist du da, das ist richtig knorke, aber ich habe keinen
blassen Schimmer, ob mein Vater noch dort ist. Interessiert mich einfach nicht.
Er hat sich nicht sonderlich um mich gekümmert, als ich damals zu ihm kam,
jahrelang hat er sich gewunden wie ein Aal, hat komische Gesichter geschnitten,
wenn er mich im Flur oder im Wohnzimmer angetroffen hat, als hätte er
vergessen, dass es mich gab und mein plötzliches Auftauchen hätte es ihm
unsanft ins Gedächtnis gerufen.«
Liliane
zuckte die Achseln und drückte ihre Zigarette aus. Sie ging an Frau Weinwurm
vorbei zur Bar und öffnete einen hohen Weinschrank.
»Unser
Wiedersehen müssen wir erst mal begießen, Süße! Lecker, lecker, was mein Gatte
wieder eingekauft hat! Der bringt es fertig, mal rasch zwischen einem Saunagang
im Wellness-Club und Dinner im Petrocelli’s bei unserem Vino-Dealer
reinzuspringen und ein paar Tausend Euro auf den Tisch zu blättern. Und da sitz
ich dann im Petrocelli’s und werde ganz betrunken von all den Aperitifs,
die ich mir hinter die Binde kippe, und der Gatte kommt und kommt nicht. Mit
ihm ist immer was los, das sag ich dir! Bist du auch verheiratet, Süße?«
»Nein,
ich...«
»Ach
du liebe Zeit!« Liliane knallte zwei Kristallgläser auf die Bar und wedelte
aufgeregt mit einem Arm durch die Luft. »Gleich schon halb acht, ich muss mich umziehen,
wir sind heute Abend in der Tonhalle, mein Gatte kommt zwar erst nach der
Pause, weil, er ist nämlich CEO, was so viel ist wie ein Zie-Ihh-Ohh, zu
Deutsch: Tschief Feinäntschel Offisser oder so ähnlich, und kommt nie vor neun
aus seinem Office, aber wir müssen hin, weil wir dort irgend so einen
FDP-Hansel samt nichtsnutziger Gemahlin treffen. Ich meine, versteh mich nicht
falsch, ich arbeite auch nicht, also nicht für Geld, das wäre ja geradezu
dekadent bei all dem Schotter, den mein Gatte nach Hause trägt, ich mache aber
viel ehrenamtlich und Charity ist Top Priority, man muss was tun in der
heutigen Welt. Mach dir ruhig schon mal ein Weinchen auf, der Korkenzieher ist
hier irgendwo, keine Ahnung wo, das erledigt Amalia sonst immer oder auch mal unser
Koch – wir haben dreimal die Woche einen Koch, knorke, nicht, und ich muss mich
jetzt flugs umziehen, sonst wird das alles nichts und... «
Lilianes
Stimme verlor sich in den hinteren Zimmerfluchten und Frau Weinwurm stieß die
Luft aus, die sie unwillkürlich angehalten hatte. Wie war das alles möglich? Mama?
Was stimmt hier nicht? Die angeketteten Arme, damit sie sich nicht mehr
schnitt, ihr heißer, schwitzender Körper, der sich wälzte, um sich zu befreien,
ihre Stimme, die sich heiser schrie, bis ein Pfleger kam! Ihr kleines,
stickiges Büro, in dem sie jahrein-, jahraus Belege sortierte, stumpfsinnig,
befriedigt über den Hass, den sie spürte, wenn ein Kollege ihr im
Hauspostumschlag neuen stupiden Nachschlag brachte und anfragte, ob sie auch
beim letzten Mal die Frühstückskosten nicht übersehen hatte. Der Makler in
Bütte-Erkenroytz, der sie dazu bringen wollte, eine bessere, größere Wohnung zu
nehmen, warum wollte sie dieses Loch in einem solchen Viertel beziehen und sie
antwortete nur, dass sie musste. Denn es war ihr nichts erlaubt, denn es war
alles verboten, und dies - aber wem konnte sie dies begreiflich machen? - war
das einzige Mittel, ihr ein wenig Ruhe zu verschaffen, und wenn sie die Bilder
von ekstatischen Gläubigen im Fernsehen sah, die sich mit Ruten und schweren
Eisenketten geißelten, dann nickte sie befriedigt, denn was sonst konnte
Linderung verschaffen?
Niemals
die Ranch in Arizona!
Niemals
unter Daddys Sternenhimmel schlafen, niemals sein Land sehen und nur das
Zugeständnis, weiter in seinen Filmen schwelgen zu dürfen, denn dies würde ihr
Leid noch vergrößern und war deshalb recht eigentlich ein Teil der Sühne und
nicht deren Linderung.
Und
für Liliane? Nichts.
Nichts? Keine Sühne, keine Strafe, keine Schuld?
Und
nun?
Frau
Weinwurm trat an die Bar und betrachtete hypnotisiert
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