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Die Ewigen Jagdgruende der Frau Weinwurm

Die Ewigen Jagdgruende der Frau Weinwurm

Titel: Die Ewigen Jagdgruende der Frau Weinwurm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louise Fu
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Frau Weinwurm in der Kochnische zu zittern begann und ihn
treten wollte, feste treten und anschließend den Kaffeebecher ins Gesicht
schütten! Was soll ich nur tun, Tochter? Was soll ich jetzt nur tun, ich bin
erst Mitte Fünfzig und bestimmt kommen meine guten Ideen auch wieder, wieso
begreifen die hohen Herren das nur nicht? Und Frau Weinwurm nahm den Filter
aus der Kaffeemaschine, knallte ihn polternd in den Müll und murmelte: Spring,
Papa, spring! Du musst nur wollen. Man kann alles schaffen, wenn man es nur
wirklich will.
    »Es
ist nicht die Spree, aber offen gestanden, ist mir der Rhein sowieso lieber.«
 
    Frau
Weinwurm betrachtete Lilianes ebenmäßiges Gesicht, das sich in der
Fensterscheibe spiegelte.
    »Das
ist nicht dein Gesicht. Das sind nicht deine Haare.«, stellte sie fest.
    »Oh,
du kannst auch sprechen?«, lachte Liliane und bleckte ihre schimmernd weißen
Zähne, aber Frau Weinwurm lauschte und hörte... was? ... einen Anflug von
Schärfe? Den alten, von jahrelangem Training verdeckten Obristenton?
    »Das
ist nicht dein Gesicht. Nur die Augen gehören dir.«
    »Falsch,
meine Süße, ich hab mir auch die Lider etwas, ein winziges Stückchen anheben
lassen. Aber sag’s nicht weiter. Und die Haare? Extensions. Dicke Flechten,
herrlich, nicht?«
    Sie
stieß Frau Weinwurm schelmisch in die Rippen und die Kaschmirdecke verrutschte.
Hastig zog sie sie wieder über der Brust zusammen.
    »Dann
gehören deine Haare einer indischen Frau? In Echt?«
    »Uhh,
ist ein Moralapostel aus dir geworden? Soll ich sie wieder abschneiden und ihr
schicken?«
    Ja,
nickte Frau Weinwurm, und dem Leoparden gibst du sein Fell zurück.
    »Wie
auch immer, es hat seinen Effekt, nicht wahr? Niemand kennt mich von früher, es
gibt auch keine Fotos, insofern ist dies alles mein zartes Geheimnis. Du magst
solche kleinen Tricks, wenn ich mir dich so anschaue, albern und dekadent
finden, aber wenn du einmal auf eine Society-Party, ob hier oder in Cannes oder
sonst wo, eingeladen wirst, und auch das vermag ich nicht zu glauben, dann
wirst du mich verstehen. Du wirst gemustert, wie Suchscheinwerfer gleiten die
Blicke an dir hinauf und wieder hinab, ach es ist schlimm. Schlimm, schlimm.«
    Lilianes
Stimme klang ungerührt, sie schüttelte den Kopf und schaltete wieder zu ihrem
enthusiastischen Tonfall um:
    »Die
Spree war ein Reinfall, damals wie heute kannst du mir Berlin schenken, ich
bleibe am Rhein!«
    »Dein
Vater?«
    »Keine
Ahnung.«  
    Liliane
winkte ab, wühlte in ihrer Overalltasche und zog ein ziseliertes, silbernes
Etui hervor. Sie zündete sich eine Zigarette an und sog langsam den Rauch ein,
und Frau Weinwurm erinnerte sich , wie Liliane ihr damals erzählt hatte, dass man
einen kurzen Augenblick durch die Gesichtshaut eines Rauchers hindurchsehen
konnte, man den gelblichen Nikotinschimmer erhaschte, der durch die Haut wie
durch Pergamentpapier leuchtete, wie die Kerze in einer Kinderlaterne. Wie oft
hatte sie in Frau Piskunovs Gesichts gestarrt wie eine Mondsüchtige?
    Das
Rauschen in Frau Weinwurms Ohren, das für eine kurze Zeit abgeebbt war, nahm
wieder zu.
    »Dieser
Loser hat Ende der 80er seinen Job beim Finanzamt aufgegeben, wegen der
üblichen Midlife-Crisis-Gründe: Das kann doch nicht alles gewesen sein, du
kannst selbstverständlich mitkommen nach Mallorca, Liliane, es gibt bestimmt
eine Schule in Palma, in der du ein deutsches Abitur machen kannst. Ein
Musikfestival wollte er dort organisieren, mit so einer jungen Else, einer
Musikstudentin, die er bei einem seiner Konzerte, bei denen drei oder vier
Leuten im Publikum saßen, kennengelernt hatte, die war nur ein paar Jahre älter
als ich! Ein winziges Steinhaus in so einem Bergkaff hat er für 5000 Mark
gekauft, und ich bin erst mal mit, denn was sollte ich schon sonst tun, ich
hatte ja keinen anderen Platz mehr auf der Welt, aber ich kann dir sagen! Ein
Plumpsklo im Garten und wenn du nachts dorthin wolltest, bist du über Millionen
merkwürdiger schwarzer Insekten mit harten Panzern getrampelt, die dabei
aufknackten wie Pistazienschalen, ein furchtbares Geräusch, ich höre es noch,
das Schlimmste, was ich je gehört habe.«
    Sie
schüttelte sich und Frau Weinwurm ballte die Hände zu Fäusten, bohrte sich die
Fingernägel fest in die Handflächen. Das war das schlimmste? Nicht das
andere Geräusch, das Poltern und Krachen auf der Treppe, das ich seit 25 Jahren
jede Nacht höre?
    »Keine
vier Monate hab ich es ausgehalten, dann bin ich zurück nach Berlin,

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