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Die Ewigen Jagdgruende der Frau Weinwurm

Die Ewigen Jagdgruende der Frau Weinwurm

Titel: Die Ewigen Jagdgruende der Frau Weinwurm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louise Fu
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Händchen für. Weißt du noch, wie ich
mir meine Wohnung in Berlin immer ausgemalt und seitenweise Zeichnungen
angefertigt habe? Liebe Güte, was waren das für Zeiten! Wie naiv wir damals
waren, im Nachhinein kaum zu glauben, nicht wahr?«
    Lilianes
Lachen perlte tief und wohltönend um Frau Weinwurm, es klang, als hätte sie es
einstudiert, nichts mehr erinnerte an das schrille Gekicher des jungen
Mädchens. Sie nahm eine Kaschmirdecke vom Sessel und schlang sie sich wie eine
römische Stola um die Schultern, bevor sie sich auf dem weichen Sitz
niederließ, der sie beinahe zu verschlucken drohte.
    »Ach,
ich friere immer, schrecklich, nun setz dich doch, steh nicht herum! Erzähl,
wie ist es dir ergangen? Oh weh, ich bin eine schreckliche Gastgeberin, ich
habe dir gar nichts angeboten, aber normalerweise macht das meine gute Fee,
Amalia, die kocht einen herrlichen Kaffee, einfach fantastico , aber sie
kommt ja auch aus Kolumbien, da lernt man bestimmt schon als Baby guten Kaffee
zu brauen.«
    »Ich
möchte nichts.«
    Frau
Weinwurm setzte sich vorsichtig auf die Sesselkante und versuchte den Blick von
den gebogenen Stoßzähnen, die mit einem glitzernden Goldlack überzogen waren,
zu lösen. Auch sie fröstelte und presste die Arme fest an den Körper.
    In
Frau Weinwurms Kopf schwappten Wogen hin und her, es rauschte in ihren Ohren
und ihre Lider blinzelten gegen die untergehende Sonne. In ihr wallte ein
Schmerz, der ihre Aufmerksamkeit einsog, sie stumm machte.
    Liliane
streifte ihre Pumps ab und zog die Füße unter die Kaschmirdecke. Munter blitzte
sie Frau Weinwurm an.
    »Da
sitzt du, schaust aus wie ein gestrandeter Wal, alles wie eh und jeh, Himmel,
du hast dich gar nicht verändert, meine Süße!«
    Meine Süße. War das nicht... Susanne? Annemie? Meine Süüße, was für tolle
Robin-Hood-Stiefel! Was für ein tolles Palli-Tuch! Ihre Kehle
brannte, Frau Weinwurm hielt es nicht aus, ein merkwürdiges Gefühl drängte nach
oben, als ob sie aufstoßen müsste, mächtig rülpsen, als säße sie in einem
Biergarten und hätte eine ordentliche Mass in einem Schwung hinuntergekippt,
was sie nur einmal in ihrem Leben während eines Betriebsausflugs probiert
hatte. Sie hievte sich von der Sesselkante und marschierte zwischen den
Sitzlandschaften auf und ab, umrundete große marokkanische Sitzkissen,
filigrane Beistelltischchen und ausladende Sofas, rieb sich die Hände, als
wolle sie mit einem Stöckchen Feuer anfachen, doch die Finger blieben eiskalt
und starr.
    »Herrliche
Stücke, nicht?«, hörte sie Lilianes Stimme von irgendwo, aus den Tiefen des
Raumes.
    »Es
hat Monate gedauert, bis ich die Wohnung fertig hatte, allein der Ärger mit den
Handwerkern und Möbeldesignern hat mich zehn Jahre altern lassen.«  
    Vorsichtig
strich sie sich über die Stirn als säßen die zehn Jahre genau dort eingegraben.
     »Oh,
ich komme gar nicht darüber hinweg, dass wir uns... wie lange?... ein
Vierteljahrhundert nicht gesehen haben. Wie konnte es passieren, dass wir uns
aus den Augen verloren haben?«
    Wie
konnte es passieren? Wie konnte es passieren?
    Frau
Weinwurm trat an das Panoramafenster und sah hinunter auf die Rheinpromenade,
die winzigen Menschen, die dort schlenderten und in den Fluss spuckten, so wie
sie heute Morgen, vergnügt und... dorthin drängte es sie, sie würde hier
erfrieren oder etwas anderes, Schlimmes würde mit ihr geschehen, die Stimme,
die sie sorglos umschmeichelte, erdrückte sie, ihr Hals zog sich zusammen, als
hätte Liliane ein eisernes Halsband darum gelegt und zöge nun mit allen Kräften
ihrer schmalen, elegant manikürten Finger.
    Plötzlich
stand Liliane neben ihr, die Zipfel der Kaschmirdecke über ihrer Brust
zusammengeknotet und Frau Weinwurm dachte an ihren Vater, die Sommer, die
vielen Sommer, die er mit einem Eau-de-Cologne-Tuch auf dem Kopf verbracht
hatte, und so hatte ihn auch die Polizei gefunden, den Kopf, in dem die
Splitter der Windschutzscheibe steckten wie winzige Eiszapfen, grotesk
verdreht, das Erfrischungstuch voll Blut. Wieso war er durch die Leitplanke gebrochen
und gegen den einzigen Baum gerast, er, der sein langes Berufsleben lang auf
der linken Spur über die Autobahnen Europas gerast war, Visionen von Badeölen-
und –Kugeln selbst beim Fahren ausbrütend, solange, bis er den Firmenwagen
abgeben musste. Eines Abends stand er betrunken bei Frau Weinwurm vor der Tür,
sie zerrte ihn hinein, braute Kaffee und er lag auf dem Sofa und weinte, laut
und winselnd, dass

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