Die Ewigen
fest. Ich wandte mich zur anderen Seite, sah an der Talseite hinunter, und schnappte dabei hörbar nach Luft: Oh mein Gott! Da würde ich dann doch zehnmal lieber in den Hof hüpfen. Dort warteten ganz gewiss gebrochene Knochen, aber hier? Ein Matschfleck, mehr würde ein Körper nicht mehr sein, wenn er diese enorme, diese himmelweite Höhe überwunden hatte.
"Du bekommst nachher einen Schlüsselbund, dann kannst du den Gang mal abgehen, wenn du Lust hast. Die Aussicht ist wirklich eindrucksvoll."
Das konnte ich nur bestätigen, und nach einer andächtigen Minute mit Blick auf Berge, Apfelbäume und die malerisch darin eingebetteten Anwesen kletterten wir die Treppe im Turm wieder herunter. Als Nächstes war das Tor selbst dran: Zu Öffnen mittels Funkfernbedienung in den Autos oder aber mit einem Schlüssel - entweder in der Eingangshalle des Haupthauses oder aber direkt in einem kleinen Kasten innen neben den Torflügeln, wobei man zum Öffnen des äußeren Kastens erneut einen anderen Schlüssel brauchte. Für die Zugbrücke galt das gleiche, also bis zu drei Schlösser und bis zu drei Schlüssel, damit man den Felsen verlassen konnte. Draußen gäbe es kein Schloss, erläuterte Andreas: Zu Fuß oder als Gast müsse man die tatsächlich vorhandene Klingel benutzen, aber dank der Bewegungsmelder in der Zufahrt sei jedermann ohnehin schon angekündigt, bevor er auf den Klingelknopf drücken könne - zumeist Touristen, die sich auch von dem größten 'Privatbesitz'-Schild nicht abschrecken ließen und auf eine Führung oder einen Imbiss im doch ganz sicher vorhandenen Restaurant aus waren. Magnus ginge zu Fuß zum Laufen raus, sagte Ciaran, die meisten anderen nähmen eh das Auto.
"Und wer eins eurer Autos hat, kommt in die Burg, weil die Fernbedienung für Tor und Brücke im Handschuhfach liegt?", fragte ich skeptisch, denn das klang nicht sehr sicher - war es nicht zehnmal einfacher, ein Auto mit der Funkfernbedienung darin zu klauen, als die Mauern hier hochzuklettern?
"Nicht ganz. Es gibt in jedem Wagen vier Tasten, und man hat genau zwei Versuche, um die aktuelle Kombination einzugeben, sie wird alle vierundzwanzig Stunden geändert und besteht aus sechs Stellen. Nach zwei falschen Eingaben wird alles auf null gesetzt und niemand kommt mehr rein oder raus, bis nach Eingabe eines Mastercodes ein neuer Tagescode festgelegt wurde."
"Und die Zugbrücke - ist da ein richtiger Abgrund drunter?"
Ciaran nickte und öffnete mit seinen Schlüsseln das Tor ein Stück, es rumpelte verhalten, als die eindrucksvollen Holzflügel sich langsam, aber geschmeidig in Bewegung setzten. Die Brücke war unten, ich folgte den beiden Ordensmeistern durch das massive Tor (die Flügel waren fast so dick wie mein Unterarm lang!) bis an ihren linken Rand. Der ovale Riesenfelsen lag hier zwar eng an dem Berg, der den Talschluss bildete, aber er war nicht mit ihm verbunden: Eine Kluft von etwas mehr als fünf Metern lag zwischen Felsen und Berg, in ihrer Tiefe rauschte leise und entfernt Wasser. Die Zugbrücke war eine neue und solide Konstruktion aus Holz und Stahl - allerdings gab es kein Geländer, daher näherte ich mich ihrem Rand mit einigem Respekt.
"Hast du Höhenangst?", fragte Ciaran und streckte mir hilfreich eine sommersprossige Hand entgegen, ich schüttelte den Kopf.
"Nein, aber ich bin nicht besonders gut ausbalanciert", antwortete ich und warf einen längeren Blick in den Abgrund - er blickte nicht zurück, ich fühlte mich als moralischer Sieger.
"Muss man wirklich dieses riesige Tor aufmachen, wenn man raus will?"
"Ja, aber das geht schnell. Und tagsüber ist die Zugbrücke immer unten, wir holen sie erst gegen Mitternacht hoch."
Wir gingen wieder hinein, die schweren Torflügel schlossen sich mit einem dumpfen Geräusch hinter mir - nein, auch diesmal keine klaustrophobische Enge in meiner Brust, sehr beruhigend. Als Nächstes schritten wir die Außengebäude entlang der Burgmauer ab: Sie waren alle zwei Stockwerke hoch, hatten flache, zinnenbewehrte Dächer wie die Burg selbst und in jedem Stockwerk mehrere quadratische Fenster mit rot-weißen Fensterläden zum Innenhof hinaus.
"Wann ist diese Anlage eigentlich entstanden?", fragte ich Andreas, als wir zu dem ersten der Häuser links neben dem Tor herübergingen.
"Wir haben den Burgberg und das zugehörige Land Ende des 16. Jahrhunderts übernommen", sagte er, "aus dem Besitz eines alten, aber auch völlig verarmten Adelsgeschlechts. Uns interessierte vor
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