Die Ewigen
waren Kinder eher unfertige Erwachsene. Man hat gewartet, bis sie so alt waren, dass man mit ihnen sprechen konnte wie mit einem richtigen Menschen." Ich runzelte die Stirn, Jackson fuhr sich mit der Hand durch seine Locken, lächelte schwach. "Das ist schwer zu erklären. Ich hatte Spielzeuge, und ich hatte auch Bücher. Aber trotzdem war es so, als wäre die Zeit der Kindheit für die Eltern eine Zeit der Prüfung und für dich selber eine Zeit, in der ... du so schnell wie möglich lernen musstest, nicht mehr Kind zu sein. Heute heißt es, die Kindheit müsse unbeschwert sein, eine glückliche Zeit - das war damals einfach anders. Selbst die Spielzeuge waren Dinge für Erwachsene in klein. Ich hatte Pferde und Kutsche, kleine Soldaten, einen Degen. Meine Schwester hatte eine kleine Küche, Puppen und ein Puppenhaus. Ein Schaukelpferd gab es, einen Reifen zum Drehen hatten wir, einen Kreisel - aber das war eigentlich auch schon alles. Kinder wollte man nicht hören, sie sollten nicht umherlaufen, schreien, toben schon gar nicht. Und was das Schlagen angeht ... das war einfach eine Strafe, einen von vielen. Es gab Schläge auf die Finger, auf den Hinterkopf oder mit der Rute auf den ..."
Er stockte, ich nickte schnell, um ihm zu sagen, dass ich schon verstanden hatte.
Jackson lachte leise. "Es hat gewirkt, nicht wahr? Ich möchte solche Worte bis heute nicht in den Mund nehmen. Ich kann es fast gar nicht."
"Po? Hintern? Allerwertester?", half ich ihm aus, Jackson lachte noch mal, ein wenig lauter. "Ich kenne noch ein paar Ausdrücke", bot ich an, aber er hob abwehrend die Hand.
"Danke, das genügt. Wo war ich? Ah ja, andere Strafen. Wir mussten in der Ecke stehen, mit dem Gesicht zur Wand. Mal nur eine Viertelstunde, mal länger. Wir mussten Strafaufgaben schreiben - in meinem Fall hatte es die Bibel dem Lehrer angetan, und ich bin ziemlich weit gekommen."
"Und deine Geschwister?"
"Mein Bruder war braver als ich. Folgsamer. Er ist kaum bis über die ersten paar Seiten hinaus gekommen."
Ich schüttelte ungläubig den Kopf: Braver als Jackson? Dieser ruhige, beherrschte, höfliche, zurückhaltende, reservierte Jackson? Nein, Shara, falsch: Jackson war nicht brav. Ich erinnerte mich an das, was er mir von seiner Zeit in London und von seiner Irrfahrt über den Kontinent erzählt hatte - Lügen, Drogen, Diebstahl, ein Mord.
"Und deine Schwester?"
Jackson lächelte erneut, ein bisschen wehmütig. "Janet Maria hieß sie, kurz Janny. Sie hatte blonde Locken und blaue Augen, wie ihre Puppen. Sie war zwar das verwöhnteste Ding, das ich jemals erlebt habe, aber sie war entzückend. Sie hat alles bekommen, was sie wollte, und hat das genommen wie ein Naturgesetz. Man konnte ihr nichts abschlagen, man tat, was sie wollte."
"Und in der Schule?"
"Sie hat nicht mit uns gelernt, sie war um einiges jünger. Und der Lehrer hätte es niemals gewagt, Hand an sie zu legen, meine Mutter hätte ihn eigenhändig umgebracht." Jacksons Lächeln verklang, was ich ein bisschen schade fand: Wenn er so selbstvergessen ins Nichts schaute, war sein Gesicht so bewegungslos wie das einer Marmorstatue, und ich konnte es ohne Scham mustern, als stände ich in Florenz vor dem Abbild des David. "Und selbstverständlich wäre ein Mädchen nicht so gezüchtigt worden", fügte der Kreuzritter-David hinzu.
Ich lachte daraufhin freudlos auf, Jackson sah mich an. "Dich hat doch nicht etwa jemand geschlagen?", fragte er, mit einem kleinen Zögern vor dem letzten Wort, als habe er auch hier Hemmungen, es auszusprechen.
"Nein, nicht in diesem Sinne", sagte ich, und glättete behutsam eine verknickte Ecke der Schifffahrkarte, die ich immer noch in der Hand hielt.
"In welchem Sinn dann?" Ich sah wieder hoch, Jacksons dunkelgrüne Augen lagen fragend und fordernd auf mir.
Ich seufzte - warum hatte ich davon überhaupt angefangen? "Das ist lange her und ich hab's geregelt", sagte ich, aber das war natürlich nicht ausreichend.
"Shara, bitte."
Ach Gott, musste er 'Bitte' sagen? Dieses Wort aus diesem Mund zwang mich geradezu, zu sprechen. "Ich bin nicht geschlagen worden, sondern gestoßen. Und auch nicht von meinen Eltern, sondern von meinem Bruder. Er hat immer so gemacht" - ich hob die Arme auf Brusthöhe, winkelte sie an und stieß sie dann schnell von mir weg, auf Jackson zu - "von hinten. Hat sich angeschlichen und mich dann mit ganzer Kraft geschubst. Nicht einmal oder zweimal. Oft."
"Wie alt warst du?"
Ich dachte kurz nach. "Acht oder
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