Die Ewigen
morgen früh sehen, wenn ich die Ergebnisse der Visite habe. Das hat sie geschwächt, und diese Energie holt sie sich jetzt bei Jack zurück, zumindest zum Teil. Ihr eigenes Experiment mit dem Muskelkater vom Laufen hat ja schon gezeigt, dass sie jeweils nur so viel Kraft abziehen kann, bis der andere genau so schwach ist wie sie: In dem Moment, wo sie zu viel nimmt, wo der andere also schwächer wird als sie, würde ihr Körper wieder umschalten auf Kraft spenden. Es gibt also in dieser Richtung eine natürliche Grenze."
Andreas runzelte die Stirn. "Das klingt aber nicht besonders gut", wandte er besorgt ein. "Sie kann geben, bis sie umfällt - aber nehmen nur, bis sie das Niveau ausgeglichen hat?"
Er hat Recht, dachte ich alarmiert, das klingt nicht gut: Niemand ist wertvoller als unsere Prinzessin, niemand wäre es wert, dass die Prinzessin sich opfert - sie, die in diesem schmächtigen, zerbrechlichen Körper die Medizin gegen alle Krankheiten der Welt barg.
Ciaran wiegte als Antwort auf Andreas' Bemerkung den Kopf. "Ich denke, es gilt in beide Richtungen das Gleiche: Sie gibt so viel, bis es dem Kranken genau so gut geht wie ihr - sie treffen sich quasi in der Mitte. Aber: In schweren Fällen kann das durchaus bedeuten, dass sie umkippt, dass sie zu schnell zu stark geschwächt wird. Umgekehrt nimmt sie einem Gesunden auch so viel ab, bis der auf ihrem Niveau angekommen ist. Sie kann also niemanden zu hundert Prozent heilen, ebenso, wie auch Jack sie nicht zu hundert Prozent wieder aufladen kann." Ciaran nickte ein bisschen selbstvergessen. "Ja, das ist absolut logisch: Um komplett zu heilen oder geheilt zu werden, braucht es mehrere Runden, weil das eine niemals hundert Prozent haben kann, wenn ein Ausgleich stattfindet. Wie bei einer Braun'schen Röhre - beide Seiten sind immer gleich stark."
"Das gefällt mir nicht. Pass bloß gut auf sie auf", sagte Andreas warnend zu Ciaran, der nickte - ein bisschen genervt, wahrscheinlich fand er diese Bemerkung überflüssig.
"Soll ich vielleicht auch hoch ...", setzte ich an, doch Ciaran winkte sofort ab.
"Danke, aber du bist morgen dran. Spar deine Kraft lieber dafür." Er nahm sich einen Keks von meinem Teller. "Ach so: Kannst du gut vorlesen?"
"Wieso? Shara soll doch lesen."
Ciaran pulte zwei Rosinen aus dem Keks und legte sie auf den Teller zurück, was eklig aussah, bräunlich und matschig.
"Ja, aber das funktioniert nicht wie gedacht. Jack sagte, nach sieben oder acht Minuten habe er ihr das Buch abgenommen, weil sie nicht mehr richtig reden konnte, und das ist einfach zu auffällig. Deswegen liest jetzt ihr ..." Ciaran suchte nach dem richtigen Wort und zerbröselte den rosinenfreien Keks.
"Akku?", schlug ich vor, er nickte lachend. "Genau, ihr Akku liest den Kindern vor. Sie hält Händchen und konzentriert sich aufs Atmen."
Na super, dachte ich seufzend, was denn noch alles?
Josie klopfte mir auf die Schulter. "Magnus, du packst das. Wir üben heute Abend ein bisschen, bis morgen kannst du dann schon das Alphabet."
Shara Ich schlief zwei, drei Stunden, und fühlte mich danach wieder einigermaßen gut. Ein bisschen wie beim Jetlag, dachte ich: Ich war desorientiert und müde, gleichzeitig aber angespannt und aufgekratzt.
Jackson und ich gingen gegen acht Uhr nach unten, passend zum Abendessen: Hunger hatte ich eigentlich keinen, aber Ciaran redete mir so lange gut zu, bis ich einen Teller von seiner Tomatensuppe aß. Alle fragten teilnahmsvoll, wie es mir ginge - kein Wunder, hatte ich vom Würgen doch noch fiese, gelbliche Punkte um die Augen, die glücklicherweise jetzt recht zügig verblassten. Als ich mich eine Stunde später verabschiedete, musste ich kurz darauf die Suppe der Kanalisation anvertrauen - scheinbar war mein Magen für warme Nahrung noch nicht bereit. Lass dir nie wieder einreden, dass etwas gut für dich ist, wenn du es nicht essen willst, schwor ich mir, als ich zum dritten Mal heute aus der Dusche kam. Shane traf mich kurz darauf in der Küche unten bei der Suche nach weiterer Cola, und brachte mir ein paar Sixpacks nach oben, ich trank gleich zwei Dosen, als wäre das kribbelige Zeug meine neue Medizin. Anschließend konnte ich natürlich nicht schlafen - das viele Koffein und der seltsame Tag machten mich flatterig und nervös. Ich vertrieb mir bis in die frühen Morgenstunden mit Zappen und Lesen die Zeit, Jackson leistete mir ein paar Stunden Gesellschaft: Auf dem Sofa und angetan mit Pullover und Hose, war doch durchaus
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