Die Ewigen
Haut. Ich musste mich sehr beherrschen, um meine Augen statt auf der Prinzessin auf dem Buch liegen zulassen, und arbeitete mich pflichtschuldig, wenn auch mit gesteigertem Tempo durch meine Geschichte.
"Hat sie Angst?", flüsterte Lara, als Shara die Augen schloss und scharf einatmete, ich zwinkerte der Kleinen verschwörerisch zu.
"Und wie. Sie ist schon mal einem Vampir begegnet, weißt du - und seit dem ..."
Ich machte eine vage Geste mit der Hand. Unter Laras weit aufgerissenen Augen näherten wir uns dem Höhepunkt der Geschichte, und dann, nach endlosen Minuten, auch deren Ende. Shara atmete wieder tief ein und setzte sich ein bisschen aufrechter hin, als ich das Buch zuklappte und mich von Lara verabschiedete. Das Mädchen sagte artig Danke fürs Vorlesen, wählte aus ihren unzähligen Stofftieren einen kleinen Löwen aus und drückte ihn Shara als Talisman gegen weitere Vampirbegegnungen in die Hand, dann klemmte ich mir unsere Prinzessin unter den Arm und schleppte sie mitsamt Löwe in ein leeres Zimmer schräg gegenüber, das mir Ciaran vorher gezeigt hatte.
"Ins Bad?", fragte ich in Erinnerung an Ciarans Beschreibung des ersten Termins, sie nickte.
Ich lieferte sie vor der Toilette ab und wartete dann mit Ciaran und dem traurig dreinschauenden Plüschlöwen vor der Tür, bis die würgenden Geräusche drinnen verstummten und die Spülung ging. Ciaran klopfte, Shara bat um ein paar Minuten - mit elend schwacher Stimme, aber in deutlichem Befehlston. Wir hockten uns aufs Bett, nebenan rauschte ewig das Wasser. Ciaran dauerte das irgendwann zu lang: Er klopfte nochmals, erntete Schweigen, zögerte kurz, holte Shara dann aber doch kurzerhand aus dem Bad und legte sie auf das mit Folie abgedeckte, auf den nächsten Patienten wartende Bett. Er befragte sie mit sanfter Stimme nach ihrem Zustand - beschissen, wenn ich sie mir so laienhaft anschaute, maß ihren Puls und gab ihr zu trinken, ich hielt mich auf der anderen Seite des Bettes und musterte mit schmerzendem Herz ihr viel zu blasses, wächsern glänzendes Gesicht.
"Magnus, setz dich zu ihr und nimm ihre Hände."
Ich tat wie mir geheißen und spürte augenblicklich das oft erwähnte, für mich jedoch ganz fremde und auch sehr befremdliche Kribbeln unter den Fingern: Es war ein komisches Gefühl, absolut neu und nur schwer zu beschreiben. Ein stetiges Strömen aus mir hinaus, von etwas, das in mir war, wertvoll, aber doch nicht greifbar, wichtig, aber doch nicht aufhaltbar. Lebensenergie wahrscheinlich - aber die fühlte man ja nicht, wenn man sie in ausreichendem Maße hatte. Vor Jahrzehnten war mir mal schwindelig geworden, als ich zwei Tage lang nichts gegessen hatte - dieses Gefühl so kurz vor der Ohnmacht ähnelte dem Schwinden der Kraft jetzt, war aber schwammiger unbewusster gewesen, vor allem aber plötzlicher und kürzer. Jetzt verließ mich in langsamem Fluss, was ich zum Leben brauchte und ich musste nur Sharas Hand loslassen, um behalten zu können, was mir gehörte, was ich doch ebenso benötigte wie sie. Natürlich tat ich das nicht: Ich behielt Shara im Blick und wartete auf eine sichtbare Erholung, als würde ich mein Blut direkt in ihre blassen Wangen pumpen können, doch es dauerte fast eine Viertelstunde, bis sie sich wieder aufrappelte und mich mit einem zögerlichen Lächeln bedachte. Ich musste sie loslassen, damit Ciaran sie noch einmal untersuchen konnte, dann ließ er mich noch zehn Minuten bei ihr sitzen, während er in den hallenden Gängen des alten Krankenhauses verschwand.
"Ich habe gerade bei Lara Fieber gemessen und eine Blutabnahme veranlasst", verkündete er, als er wieder herein kam. "Ihre Temperatur ist jetzt schon normal, und wenn die Laborwerte da sind, werden die garantiert zeigen, dass sie absolut operabel ist - vielleicht sogar, dass der Blinddarm sich so weit beruhigt hat, dass gar keine Operation mehr nötig ist."
"Und was ist mit ... Roberto, von gestern?", fragte Shara, während sie das Wasser trank.
Der sei heute Nachmittag aufgestanden, habe mit ein paar anderen Kindern im Aufenthaltsraum Brettspiele gespielt und würde morgen mit der Krankengymnastik beginnen, berichtete Ciaran stolz, die Entzündung im Bein sei so gut wie abgeklungen.
Shara nahm das ohne Regung zur Kenntnis, dann richtete sie ihre müden Augen auf Ciaran.
"Ist es das, was ihr euch erhofft habt? Seit ihr jetzt ... zufrieden?"
Ich hörte keine Anklage in ihrer Stimme, doch ihr matter Tonfall schnitt mir ebenso ins Herz, als wenn sie
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