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Die Ewigen

Die Ewigen

Titel: Die Ewigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tina Sabalat
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schnell und genervt wegdrehte, erwischte er noch genug Haut, um sich anschließend die tauben Lippen befühlen zu müssen. Ich machte es besser und steckte meine Lippen lieber in ihr Goldhaar, bevor Jack sie mit Beschlag belegen konnte. Ciaran erschien, während wir jubelten, und bestätigte Josies Worte mit zwei oder drei unverständlichen medizinischen Fachbegriffen, gab Andreas die gute Nachricht durch und schickte uns dann alle ins graue Haus. Morgen sehr früh noch eine Runde, sagte er, dann geht Shane am Mittag hier raus, als wäre nichts geschehen. Ciaran selber wollte im Krankenhaus bleiben und bei Shane Wache halten, uns anderen trug er auf zu Essen, zu Schlafen und um sechs Uhr morgens mit Shara und mindestens vier Akkus wieder hier zu sein. Ich nickte und lachte erleichtert auf, biss mir dann jedoch von mir selbst peinlich berührt auf die Zunge - ich hatte Jo vergessen, hatte in meiner Freude über Shanes Rettung vergessen, dass wir Jo verloren hatten, dass wir einen nicht hatten retten können. Jo würde nicht aufstehen und gehen, essen und schlafen: Jo war tot. Sein kalter Körper wartete in diesem trüben, grauen Haus - auf uns und darauf, dass wir ihm unsere Ehre erwiesen.
    Shara

Ich hatte noch vor ein paar Tagen gehofft, dass meine Rückkehr nach Rom unter guten Vorzeichen stattfinden würde: Mit Jackson an meiner Seite und natürlich mit Davide, nach einem langen Sommer in der Burg, in eine hübsche Wohnung und mit Lust auf ein paar Monate in der quirligen Stadt, bevor wir dann im November zu unserer verschobenen Hochzeitsreise ans andere Ende der Welt aufbrechen würden. Stattdessen kamen wir schon im Sommer, mit einem Konvoi voller müder, geschockter Menschen in ein unverändert abschreckendes, kaltes Haus, dessen Tür uns Andreas mit umschattenden Augen öffnete, als wir im Hof aus den Autos kletterten.
    Jackson nahm mich an der Hand, als wir inmitten der anderen Kreuzritter langsam und zögernd auf den Eingang zugingen.
    "Wo ist Joseph?", fragte er, Andreas wies auf das mir nur zu gut bekannte Krankenzimmer.
    Jackson drehte sich zu mir um, ich nickte als Antwort auf seine unausgesprochene Frage: Ich musste Joseph sehen, wie alle mussten ihn sehen. Andreas ging voraus, die anderen folgten uns wie eine Trauergemeinde.
    Das Zimmer war dunkel und still: Die Jalousien hatte jemand dicht geschlossen, nur das matte Nachtlicht neben dem Bett brannte und spannte einen kleinen Schirm aus Licht um das Kopfende des Bettes. Maggie stand neben der Tür wie eine stumme Wache: Blass, die Augen klein und geschwollen vom Weinen. Joseph lag auf dem Bett, er trug seine Kleider und Schuhe - aus der Ferne besehen sah er aus, als habe er sich nur für eine kurze Pause ausgestreckt. Seine Augen waren geschlossen, die Hände hatte man ihm über der Brust gekreuzt. Ich ging an Jacksons Hand näher heran, langsam und zögerlich. Getrocknetes Blut bedeckte Josephs helles Hemd, aber gar nicht sehr viel: Ein dunkler Fleck, nicht größer als zwei oder drei Handflächen. Auf Höhe seiner Kreuznarbe sah ich zwei ausgefranste Löcher im Stoff: So klein und doch so tödlich - die Kugeln schienen ihn direkt ins Herz getroffen zu haben. Sein Gesicht war nicht verzerrt oder gar entstellt, ein eher überraschter Ausdruck lag in seinem leicht geöffneten Mund. Seine Haut war auch im Tode so dunkel, dass ich keine tödliche Blässe erkennen konnte - abgesehen von seiner totalen Reglosigkeit wirkte Joseph wie ein Schlafender. Seine schönen, langen Zöpfe lagen ordentlich auf dem weißen Kissen, die roten Perlen glänzten im Licht der Lampe.
    Ich hatte bislang nur einen einzigen Toten gesehen: Meinen Großvater mütterlicherseits, damals war ich neun oder zehn Jahre alt gewesen. Ich konnte mich noch gut an sein eingefallenes, unendlich faltiges Gesicht mit den farblosen Lippen erinnern, an seine knotigen Hände und an die blauen Äderchen, die unter der sichtbar gepuderten, wachsweißen Haut verliefen: Er hatte tatsächlich wie ein Toter ausgesehen, wie ein sehr alter Mann, der einen langen und anstrengenden Weg bis zu seinem natürlichen Ende gegangen war. Joseph war anders - obwohl so viele Jahrzehnte (nein: Jahrhunderte!) älter, war er doch viel zu früh gegangen. Das Schlimmste jedoch war, dass genau das meine Schuld war: Joseph war nur gestorben, weil ich unbedingt nach Rom hatte fahren müssen, weil ich unbedingt diese Kirche hatte besichtigen müssen, weil ich mich hatte überreden lassen, meine Hände auf dieses verfluchte

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