Die Ewigen
Geiselnahme. Ob ich mir vorstellen könnte, morgen nach Bozen zu kommen, hatte Drake gefragt - gegen Abend, dann müsste ich mich nicht so beeilen? Natürlich, hatte ich geantwortet, und in der Zwischenzeit würde ich mich sehr über zwei weitere Foto von Davide freuen: Vielleicht eines heute Abend und eines morgen früh, jeweils um zehn Uhr? Im Übrigen müsse der Junge seinen Eltern Bescheid sagen, dass es ihm gut ginge und dass er erst übermorgen wieder zuhause sein würde - wenn Drake ihm diesen Anruf ermöglichen würde? Damit könnte man ja auch vermeiden, dass die Eltern sich Sorgen machten und eventuell die Polizei riefen? Dafür hatte Drake dann doch Bedenkzeit gebraucht, und während er diese weidlich ausgenutzt und Schweigen in der Leitung geherrscht hatte, dachte ich: Na klar, Südtirol. Dann würden wir auf der Burg übernachten, und er kann unsere Pläne brandheiß von Gerard übermittelt bekommen. Der Anruf sei kein Problem, hatte sich Drake schließlich wieder vernehmen lassen, Davide sei ja hoffentlich erwachsen und vernünftig genug, um nicht mehr als nötig zu sagen. Er hatte das Gespräch mit dieser halben Drohung beendet, bevor ich das hatte tun können - selbstverständlich hatte mich das äußerst unzufrieden zurückgelassen, denn in dem allseits beliebten Spiel 'Das letzte Wort haben' war ich normalerweise die unumstrittene Königin.
Ich fand es unglaublich dreist, fast schon lebensmüde, dass Drake sich in der Burg verkroch. Sicher würde er dieses Versteck jetzt so schnell wie möglich aufgeben - und hatte es ohnehin nur gewählt, um uns zu seinem ganz persönlichen Amüsement ärgern zu können: Wenn wir dort angekommen waren, würde Gerard sich nicht mehr frei bewegen und ihn und Davide mit dem Auto raus schaffen können - mit Andreas und Ciaran auf der Burg wäre Gerard über jeden seiner Schritte Rechenschaft schuldig, mit mehr Leuten in der Burg würde es unweigerlich auffallen, wenn er bei den verlassenen Nebengebäuden herum schlich. Auch wären wir nach unserer Ankunft Drake rein zahlenmäßig überlegen, und den Kampf gegen eine ganze Gruppe Kreuzritter konnte er nicht riskieren: Würden wir ihn entdecken, wäre er unweigerlich geliefert. Er würde dort also bald wieder verschwinden - er hatte das Nest seiner alten Freunde beschmutzt, damit war sein Ziel erreicht. Andreas und Ciaran hatten meine Gedanken über den anstehenden Umzug von Gerard und Davide plausibel gefunden und sofort reagiert, als ich vor der Abfahrt in Rom gesagt hatte, was sich da gerade durch mein Gehirn geschlängelt hatte: Ffion und Peter sowie Nikita und Michael wurden von der Bewachung des Priesters abgezogen und zur Burg umdirigiert. Sie würden sich außerhalb der Reichweite ihrer eigenen Kameras halten und jede Aktivität überwachen - in der Hoffnung, dass Drake und Davide dort erst nach ihrer Ankunft herauskommen würden, was aber unwahrscheinlich war: Zwei Stunden würde es sicher dauern, bis sie an der Burg wären, Zeit genug für Drake, sich einen neuen Unterschlupf zu suchen. Meine Bitte um je ein neues Foto vom Abend und vom Morgen erwies sich im Nachhinein als doppelt wichtig: Uns interessierte neben Davide vor allem das Zimmer, in dem er sich dann befinden würde - und ich bezweifelte sehr stark, dass Drake schon zur Technik der digitalen Bildbearbeitung fortgeschritten war, mit der ich ihm Davide innerhalb von ein paar Minuten in einen Strand auf Hawaii oder eine Zelle von Sing Sing hätte reinmontieren können. Maggie und Lucia würden an Giuseppe dran bleiben - welche Rolle Drake ihn spielen ließ, war uns nicht ganz klar, aber gerade deshalb sollten wir wissen, wo er war und was er trieb. Uneinigkeit herrschte indes in der Frage, ob Pablo und Sven informiert werden sollten oder nicht - und mehr noch: Sollten sie vielleicht jetzt das Waschhaus stürmen und Davide befreien? Diese Idee hatte Jackson vorgebracht, während er mit dem Funkgerät auf dem Beifahrersitz neben mir saß und ich mich an der Spitze unserer kleinen Kolonne durch Rom schlängelte. Ich war trotz Drakes Revolver dafür, die anderen absolut dagegen - die Funkgeräte knirschten, als alle auf mich und meinen Kreuzritter einzureden begannen, eine statisch knisternde Flut an Ablehnung. Alles Argumentieren meinerseits wurden Minuten später hinfällig, als Pablo Andreas anrief und ihm nicht nur von der aufregenden Rückkehr Gerards (ohne Davide, der war ihm doch tatsächlich an einer Raststätte von Drake entführt worden!),
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