Die fabelhaften 12 - Die Mission: Band 2 (German Edition)
um Konversation zu betreiben und seine Nervosität zu überspielen, fragte Neuneisen: »Was heißt das, aus dem Rahmen treten?«
Risky blieb stehen. Sie wandte sich zu ihm um. Beide rührten sich nicht. »Vielleicht bist du ja klüger, als du aussiehst. Ich rate es dir jedenfalls.«
Neuneisen sagte: »Ja?«
»Nimm an, du hast ein Bild. Eine Fotografie. Ein Gemälde. Du steckst es in einen Rahmen. Und wenn du lange genug auf das Bild starrst, ist es, als würdest du ins Gemälde fallen. Es wird zu der Welt, die du kennst – alles, was in dem Rahmen ist. Starrst du noch länger, dann siehst du nicht einmal mehr, was außerhalb des Rahmens ist. Aber weißt du was, Paddy ›Neuneisen‹ Trout aus der Grafschaft Grind?« Sie packte ihn am Kragen und gab ihm eine Ohrfeige.
Jeder andere, der so etwas mit Neuneisen machte, musste es bitter bereuen (aber nur kurz, bis Neuneisen ihn abmurkste). Der stärkste, furchterregendste, vernarbteste, zornigste, böseste, schielendste Gangster durfte nicht an seinem Kragen zerren und ihm eine Ohrfeige verpassen. Denn Neuneisen fürchtete sich vor solchen Kerlen nicht.
Aber da war etwas an dieser rothaarigen jungen Frau, das ihm sagte, er müsse stehen bleiben und alles hinnehmen, was sie austeilte.
Paddy hatte noch nie erlebt, dass ihm jemand derart gegenübertrat. Risky hatte kein bisschen Angst vor ihm. Genauso gut wie ein gefürchtetes Mitglied der Nafia hätte er eine Fliege sein können.
Er mochte es irgendwie, wie sie ihm auf die Wange schlug.
Denn in diesem Augenblick bewirkten ihre Schönheit, ihre Furchtlosigkeit und natürlich die blanke, irrsinnige Bosheit, die von ihr ausströmte wie ein betörendes Parfüm, dass er sich ein kleines bisschen in sie verliebte.
In diesem Moment wusste Paddy, dass er niemals eine andere heiraten würde. Wo würde er schon jemals eine so mitleidlose, kalte und hundsgemeine Frau wie Risky finden?
Er wusste aber genauso sicher, dass er ihr nie von seiner Liebe erzählen durfte. Denn dann würde sie ihn garantiert töten.
Auf jeden Fall.
Im Handumdrehen.
Also musste er seine Vernarrtheit tief drinnen begraben.
Risky beugte sich zu ihm. »Ich sag dir eins, Paddy: Außerhalb des Rahmens existiert eine ganze Menge. Komm. Ich zeig dir was.«
Er folgte ihr. Er wäre ihr egal wohin gefolgt.
Sie ging nun schneller, aufgeregt und gespannt, als habe sie ein neues Ziel.
»Oh ja, ich werde dir was zeigen«, sagte sie und lachte ihr wunderbar dämonisches, irres und schauriges Lachen.
Auf einmal endete der Tunnel.
Sie traten auf ein Plateau, eine Art Tafelberg oder ganz einfach eine breite Plattform. Hinter der Plattform fiel der Boden ab, man sah keinen Grund. Aber unten leuchtete etwas. Ein Leuchten in allen Farben des Regenbogens, das wilde Schatten auf die Felskuppel weit, weit über ihnen warf.
Neuneisen fand sich in einem Raum von so immenser Größe wieder, dass man die gesamte Grafschaft Grind in ihm hätte unterbringen können und noch Platz für ganz New York gehabt hätte.
Er hatte mit etwas Dantemäßigem gerechnet. Nicht dass er Dante gelesen hätte, aber er hatte Finsternis und düsteres Leuchten und vielleicht noch glühend rote Lava erwartet.
Nicht dieses wilde Farbenspiel. Es war dunkel, ja, aber die Dunkelheit war voller Farben. Aber keine dieser Farben erfreute ihn, so wie Farben es eigentlich tun sollten.
Als er genauer hinsah, entdeckte er den Grund dafür. Die Farben waren Millionen winziger Wirbel, wie kleine Tornados, die sich mit Millionen ähnlicher Lichttornados verbanden und einen unfassbar riesigen Strudel bildeten.
Sie bewegten sich auf den Rand des Tafelbergs zu, und Neuneisen wunderte sich sehr, dass er so schwitzte, denn es war nicht warm, überhaupt nicht. Außerdem wunderte er sich, dass er mit den Füßen scharrte, denn eigentlich war es nicht seine Art, sich vor etwas zu fürchten, das er nicht sehen konnte.
Am meisten aber wunderte er sich, dass sich sein Herz, sonst eine unbeachtete rhythmische Pumpe, auf einmal anfühlte wie ein Tier, das sich aus seiner Brust strampeln wollte.
»Ich weiß nicht …«, stieß er zwischen eingerissenen Lippen hervor, die Zunge staubtrocken.
»Wusstest du, das sich weißes Licht in allen Farben bricht?«, fragte ihn Risky.
»Äh .. mein Herz … es …«
Mit einer Singsang-Stimme rief Risky: »Mami! Maaamiii! Hier ist Besuch für dich.«
»Ich weiß nicht …«
»Jede Seele wirft ihr eigenes Licht, wusstest du das, Paddy? Selbst die dunkelste Seele wirft ein
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