Die facebook-Falle
geniale kommerzielle Konzept hat. Facebook bietet eine Plattform für die schnelle Auflösung der Barrieren zwischen Konsumenten und werbetreibender Wirtschaft. Auf Facebook werden alle Freunde, und die Fans von Marken melden sich millionenfach und freiwillig. Soziale Barrieren fallen. Die amerikanischen Wissenschaftler Nicholas A. Christakis und James H. Fowler haben in ihrem Buch Connected! 58 Gesetzmäßigkeiten zur sozialen Netzwerkbildung im realen Leben formuliert. Eine lautet: »Die Freunde der Freunde unserer Freunde prägen uns.« Die Soziologen verweisen auf das sogenannte Gehsteig-Experiment des Psychologen Stanley Milgram aus dem Jahr 1968. Zwei kalte Wintertage lang ließ Milgram in New York ein 15 Meter langes Stück Bürgersteig beobachten. Im Fenster der sechsten Etage seines Hochhauses hatte er einen Mitarbeiter postiert. Unten standen zwischen einem und fünfzehn weitere Mitarbeiter, die unentwegt zu diesem Fenster hoch schauten. Milgram wollte wissen, wie sich die offenkundige Neugier der sogenannten »Stimulanzgruppe« auf die übrigen Passanten überträgt. Bestand diese Stimulanzgruppe nur aus einem Mitarbeiter, der hoch schaute, reagierten darauf vier Prozent der Passanten, indem sie anhielten und gleichfalls nach oben blickten; waren es 15, streckten immerhin 40 Prozent ihre Köpfe dem Fenster entgegen. Im Weitergehen
schauten 42 Prozent der Leute hoch, auch wenn nur ein Mitarbeiter dort stand. Waren es 15, hoben sogar 86 Prozent der Passanten im Vorbeigehen den Blick. Die Größe der Gruppe hat also durchaus einen hohen Einfluss auf die Aufmerksamkeit der Übrigen.
Milgrams Experiment veranschaulichte ein archetypisches Verhalten, das sich Facebook heute mit seinem Geschäftsmodell der Freundschaftsempfehlungen perfekt zunutze macht. Freundschaft als Gefühl wird zu einem kommerziellen Transmissionsriemen, zu einem kommerziellen Ereignis.
Den Markenherstellern eröffnet der »Gefällt-mir«-Button zugleich die wunderbare Möglichkeit, zur Steigerung unseres Wohlbefindens beizutragen. Denn lieben wir nicht gelegentlich das Gefühl, irgendwo schon bekannt zu sein? Etwa beim Wirt unseres Stammlokals, der uns erst mit einem Schulterklopfen begrüßt, um uns dann unseren Lieblingswein zu servieren, ohne dass wir ihn ausdrücklich bestellen müssen. Derart aufgehoben und umsorgt soll sich der Kunde auch vor dem Computer fühlen. Der Online-Händler Amazon zum Beispiel begrüßt uns persönlich mit Angeboten, die uns interessieren könnten, weil wir bei Amazon bereits irgendwann nach diesem oder jenem Produkt Ausschau gehalten haben. Google wiederum sorgt dafür, dass die werbetreibende Industrie von unseren Google-Recherchen erfährt, damit sie uns über unsere IP-Adresse Werbung direkt auf unsere Bildschirme schicken kann.
Kinder wachsen zwar heute mit dem Internet auf, allerdings, ohne dass ihnen diese Kommerzialisierung des Mediums bewusst wäre. So erzählte mein zwölfjähriger Sohn
mir kürzlich, er habe auf seiner WEB.DE-Seite Werbung für Fernlenk-Hubschrauber erhalten. »Woher wissen die, dass ich so einen haben will?«, fragte er. Ich erklärte ihm, dass er sicher Fernlenk-Hubschrauber gegoogelt habe. Das war der Fall. Facebook ist hier schon viel weiter als Google, denn der Konzern arbeitet mit dem Faktor Mensch, nicht mit der anonymen IP-Adresse.
Als ich kürzlich den Medienexperten Jeff Jarvis traf, der in seinem Buch Was würde Google tun? 59 das Geschäftsprinzip der Internet-Suchmaschine erläutert, fragte ich ihn, worin denn der Vorteil von Facebook im Kampf der Giganten liege. Den sieht Jarvis in der Konkurrenzlosigkeit von Facebook. Googeln müssen wir nicht unbedingt, denn es gibt eine Reihe alternativer Suchmaschinen. Auch bei der Routenplanung sind wir nicht auf Google angewiesen. »Aber verlässt man Facebook, lässt man seine Freunde zurück«, meinte Jarvis.
Demgegenüber haben wohlmeinende Versuche wie die Plattform Diaspora eigentlich keine Chance. Es ist, als würde jemand versuchen, alle seine Freunde zum Umzug nach Bulgarien zu bewegen. Auch dort gibt es Wasser und Strom, aber die Freunde werden ihm nicht folgen. Und er wird sie dort vergeblich suchen. »Facebook ist also unser Land«, sagt Jarvis, und wer sein Konto löscht, verlässt seine Heimat. Diese »Heimatliebe« und Loyalität beschert dem Netzwerk immer neue Nutzer und somit rasant wachsende Datensätze. Klicke ich auf ein »Gefällt mir«, sind meine Daten im Rennen der Marken um meine Gunst. Das kleine
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