Die facebook-Falle
Und manchmal fordern rechte Seitenbetreiber die Aufmerksamkeit Rafaels erst heraus, indem sie ihr bedrohliche E-Mails schreiben. »Die schreiben mir sehr gerne«, sagt die Journalistin ironisch. Anscheinend nimmt sie solche Drohungen nicht wirklich ernst. Der Inhalt von Schreiben wie »Was hast du gegen Nazis?« oder »Wir ficken deine Familie« verrät denn auch mehr über die intellektuellen Fähigkeiten der Absender als über ihr tatsächliches Gewaltpotenzial.
Viel ernster als die Ausbrücher solcher Wirrköpfe ist die Ausbreitung gezielter Propagandalügen im World Wide Web durch rechtsextreme Netzstrategen, die versuchen, sich in Diskussionen einzuschalten. Dabei haben sie nicht unbedingt Gruppen mit vermeintlich rechten Tendenzen im Visier, sondern unterwandern alltagsbezogene Facebook-Gemeinschaften wie »Vegetarier essen mir mein Essen weg«. Dort tauchen sie zunächst eher zurückhaltend auf und lassen sich ihre Gesinnung kaum anmerken. Sind sie erst einmal integriert, beginnen sie die Diskussionen in ihre Richtung zu lenken.
»Sehr gut funktioniert im Internet das Thema Meinungsfreiheit«, sagt Rafael. »Nazis gerieren sich im Netz gerne als die wahren Kämpfer für die Meinungsfreiheit.« Mit Aussprüchen wie: »Nichts darf ich hier sagen! Wenn ich das schreibe, was ich wirklich denke, werde ich wieder gelöscht. Ist das eure Meinungsfreiheit? Ist das eure Demokratie? « Dabei geht es ihnen allerdings nicht um die klassische Meinungsfreiheit, sondern um das Verbot der »Auschwitz-Lüge«, der Leugnung des Holocaust. Das wird natürlich nicht offen ausgesprochen, aber mit Verweis auf angebliche Denkverbote gelingt es Rechtsextremisten, sich zu Opfern einer politisch korrekten Meinungsdiktatur zu stilisieren. Diese Strategie richtet sich an Menschen mit unterschwellig rechten Sympathien, die sie auf ihre Seite ziehen wollen. Hetzen die rechtsextremen Agitatoren aber offen gegen Migranten, tritt ein anderer Effekt ein: »Wenn bei Diskussionen – beispielsweise an der Facebook-Pinnwand – immer wieder dieselben Nazi-Parolen auftauchen, steigen die User, die dagegen sind, irgendwann aus«, hat
Simone Rafael beobachtet, »Und dann passiert etwas, das es im richtigen Leben zum Glück noch nicht gibt: Die Nazis haben die Meinungshoheit.«
Ein digitaler Katalog zur Rekrutierung neuer Aktivisten
Die zweite Strategie ist eher offensiv. Viele rechtsextreme Institutionen, Magazine oder Musikgruppen haben Facebook als Forum entdeckt, um ganz offen ihre Inhalte zu verbreiten. Damit stärken sie psychologisch auch die eigene Anhängerschaft. Denn allein die »Gefällt-mir«-Klicks oder die Möglichkeit, »Freund« oder »Fan« zu werden, suggerieren Zusammenhalt und Gemeinschaftsgefühl.
»Ich war anfangs verblüfft, wie offen sich Leute zu rechtsextremen und rassistischen Inhalten auf Facebook bekennen«, sagt die Journalistin. Sie klickt auf die Fanseite einer rechtsextremistischen Sängerin. Ein »Fan« heißt Antonia M. Antonia präsentiert sich ziemlich bieder mit langen, dunklen Haaren und einem Baby im Arm. Die Berufsschülerin wirkt nicht gerade wie ein Skinhead. Aber was »gefällt« dieser Antonia M.? Ihr gefällt unter anderem der Slogan »Stoppt Tierversuche, nehmt Kinderschänder!!!!!! « – ein typisches Nazi-Thema. Auch Thilo Sarrazin gefällt ihr und natürlich die »NPD – die soziale Heimatpartei«. Auf ihrer Facebook-Seite fordert das Mädchen den EU-Austritt Deutschlands. Außerdem ist Antonia bekennendes Mitglied des »Rings Nationaler Frauen« und der NPD. Auch Sepp B. sieht auf den ersten Blick harmlos aus. Doch unter seinen Aktivitäten, wie »Musikhören« und» TSV
1860 München«, steht plötzlich »Vergeltungswaffen« – zu seinen Interessen rechnet er die »Weltherrschaft«. Am schnellsten erkennt die Expertin die Gesinnung von Sepp. B. an seinem Musikgeschmack: »Alle diese Bands spielen rechtextreme Musik.«
Ein Fan des NPD-Vorsitzenden Udo Voigt wiederum präsentiert sich auf den ersten Blick als das, was er ist: ein kahl rasierter Schädel, und sein Profilbild zeigt die weißen Lettern »W.A.W«, die Abkürzung für »Weißer Arischer Widerstand«. Ein weiterer Fan, Oliver S., hat für sein Profilbild eine Powerranger-Puppe in Springerstiefel gestellt und ihr eine Reichsflagge in den Arm gedrückt. Und Daniel K. hat als Profilbild die Nahaufnahme eines Auges, in dem sich der Reichsadler spiegelt.
»Der Wunsch nach Selbstdarstellung ist dort, wie bei vielen anderen
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