Die Fackel der Freiheit
Bestrebungen oder zumindest Tendenzen, sein eigenes kleines Imperium aufzubauen, bei den gesamten MSDF durchaus bekannt. Tatsächlich waren sie sogar so gut bekannt, dass Flottenadmiral Otis' Bereitschaft, sie zu akzeptieren, als ihre einzige echte Schwäche angesehen wurde. Sie war clever, kompetent, erfahren und äußerst pflichtbewusst, und doch konnte Trajan unmöglich glauben, sie wisse nichts von den persönlichen Fehden, die Kafkaloudes mit jedem ausfocht, der jemals den Fehler gemacht hatte, seinen Zorn zu erregen. Und dieser Zorn ließ sich bemerkenswert leicht erregen.
Das Problem war, dass er, wenn man von dieser Unzulänglichkeit seines Charakters einmal absah, seine Aufgabe wirklich gut erfüllte. Und um ihm echte Gerechtigkeit widerfahren zu lassen: zumindest zum Teil war es tatsächlich seine Aufgabe, Otis zu beschützen, denn dadurch, dass er sie beschützte, beschützte er auch ihre Effektivität. Deswegen hatten Granger und Hasselberg auch höchstwahrscheinlich Recht, was Ganneau betraf. Otis mochte sie vielleicht nicht beschützen, weil er ihr Schwager war - tatsächlich war sich Trajan, der den Flottenadmiral recht gut kannte, sogar verdammt sicher, dass sie das niemals tun würde -, doch das war auch nicht nötig. Der Commodore konnte sich darauf verlassen, dass Kafkaloudes heimlich, still und leise jegliche persönliche Kritik an ihm einfach verschwinden ließ. Schließlich konnte es ja nicht angehen, dass Kritik den Chef des Admiralstabs befleckte! Oder zumindest konnte man sich darauf verlassen, dass Kafkaloudes es genauso sehen würde.
Und Hasselberg hatte auch durchaus Recht mit dem, was er über Ganneaus Handeln gesagt hatte: Es lag sehr wohl im Rahmen dessen, was seine Befehle umfasst hatte, obwohl Trajan wusste, dass man von Ganneau erwartet hatte, eigenständig zu entscheiden, ob ein Feind nun zu vernichten sei oder nicht. Und es gab durchaus Argumente, die für exakt das sprachen, was der Commodore auch getan hatte. Diese Argumente mochten Trajan nicht sonderlich zusagen, doch er konnte auch nicht bestreiten, dass es sie auch gab. Dass Ganneaus Geschwader überhaupt erst die Aufgabe erhalten hatte, das Ende des Wurmloch-Terminus von Verdant Vista zu bewachen, das sich im Territorium des Alignments befand, lag an den gleichen wohlüberlegten personellen Umbesetzungen, die auch Kampfverband Vier betrafen: Auch beim Sechsten Schlachtkreuzergeschwader setzten sich sowohl die Reihen der Offiziere wie auch die der Mannschaftsdienstgrade fast ausschließlich aus Vertretern der mesanischen Top-Linien zusammen - rein zufällig, natürlich. Niemand von ihnen würde thematisieren, was mit allen anderen geschehen war, doch wenn ein manticoranisches Vermessungsschiff von Schiffen der Mannerheim System-Defense Force in den Heimathafen geschleppt worden wäre ...
Das mag ja alles sein, dachte Trajan, aber sie hätten die doch sowieso nicht nach Mannerheim bringen müssen! Das Alignment hätte sie doch heimlich sonst wohin verschwinden lassen können. Verdammt, wir haben es geschafft, das ganze verfluchte Darius-System fast zwohundert gottverdammte Jahre lang ›verschwinden‹ zu lassen! Aber Ganneau wollte sich mit dieser ›Unannehmlichkeit‹ nicht herumschlagen, deswegen ist er stattdessen ganz nonchalant hingegangen und hat ein vollbesetztes Schiff einfach aus dem All geblasen.
»Wenn wir einmal davon absehen, über unsere Vorgesetzten zu sprechen«, ergriff Hasselberg nach kurzem Schweigen wieder das Wort, »bleibt da immer noch das, was Sie selbst angesprochen hatten, Admiral. Von ihrem Ende der Brücke aus können die Mantys unmöglich begreifen, womit sie es hier eigentlich zu tun haben.«
Noch während er sprach, richtete er den Blick auf die smarte Wand von Trajans Salon, und die anderen folgten seinem Beispiel. Im Augenblick war das Schott so konfiguriert, dass es nicht das Felix-System zeigte, in dem Vivienne und der Rest von KV 4 derzeit ›Routine-Gefechtsübungen‹ abhielten, sondern das, was sich am anderen Ende der Wurmloch-Brücke von Verdant Vista befand.
Das Zentrum bildete ein einzelner Stern, der ein wenig heller wirkte als alle anderen in seinem Umfeld. Tatsächlich war der einzige Grund für diesen vermeintlichen Helligkeitsunterschied, dass der Stern dem Aufzeichnungs-Sensor deutlich näher war als alle anderen Himmelskörper. In Wahrheit handelte es sich um einen bescheidenen Zwergstern der Klasse M8 ohne einen einzigen Planeten, der den gleichen Namen getragen hätte
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