Die Fackel der Freiheit
ihren letzten Kontrollgang durch den Fluchttunnel. Ursprünglich hatte er zum Transportnetz der Stadt gehört. Vor etwa einem Jahrhundert hatte die Stadt einen Großteil dieses Netzwerks außer Dienst gestellt, doch man hatte keine Veranlassung gesehen, die bestehenden Bauten abzureißen. Tatsächlich hatte man sogar ein wenig Geld darauf verwendet, sie mit Stützen zu versehen und damit sicherzustellen, dass die Einsturzgefahr eingedämmt war. Die Kosten, bestehende Bauten rückzubauen, die man auf dem betreffenden Gelände oberhalb der Schächte errichtet hatte, um die nun nutzlos gewordenen Tunnel ordentlich aufzufüllen, wären ungleich größer gewesen. Gleiches galt auch für die Wiederaufbaukosten, die sich ergäben, wenn plötzlich ein Teil der Stadt einfach einstürzte, bloß weil die alten Tunnel immer weiter verfielen.
Seitdem hatten verschiedene Leute diese alten Tunnel in unterschiedlicher Weise genutzt. Es war gewiss nicht verwunderlich, dass es in der Stadt eine beachtliche Zahl Mittelloser und Bedürftiger gab - einschließlich einer ganzen Reihe von Leuten, die zweifellos nicht ganz richtig im Kopf waren. Viele von ihnen lebten jetzt in dem alten, verzweigten Tunnelsystem - und ließen der Polizei Bestechungsgelder zukommen, um zu verhindern, dass diese allzu häufig oder allzu gründlich durchsucht wurden. Händler verstauten dort leichtverderbliche Waren, schließlich kamen sie auf diese Weise zu einem Spottpreis an klimatisierte Räumlichkeiten. Und nicht zuletzt wurden die Tunnel auch von den Untergrundorganisationen genutzt, die entflohene Sklaven von dort aus in die Freiheit schmuggelten.
Der Tunnel, in dem sie beide sich gerade befanden, ließ sich durch einen verborgenen Eingang im Untergeschoss einer der Mietskasernen erreichen, die nicht allzu weit von Steph Turners Restaurant entfernt lagen. Von dort aus zog sich der Tunnel ganze zwei Kilometer unterhalb der eigentlichen Straßen der Stadt entlang. Sie wollten den vorletzten Ausstieg ansteuern. Dort wären sie dann nicht mehr allzu weit von dem Lieferwagen entfernt, der sie zum Raumhafen bringen sollte. Bis sie den Lieferwagen erreicht hatten, sollten Carl Hansen und die beiden mesanischen Überläufer schon eingetroffen sein. Sie alle, außer Carl und Victor - Carl als Fahrer, Victor als sein Gehilfe - würden sich in den Kisten verborgen halten, mit denen der Lieferwagen beladen war. Solange der Wachdienst nicht darauf bestand, den Lieferwagen persönlich zu untersuchen und dabei sogar die Kisten zu öffnen, sollte alles wunderbar laufen. Zu den zahlreichen Dingen, die Victor vom stets hilfreichen TriêuChuanli erhalten hatte, gehörten Frachtbehälter, die nicht nur luftdicht abgeschlossen und vollständig klimatisiert waren, sondern auch so ausgestattet, dass man sie mit den üblichen Gerätschaften nicht durchleuchten konnte. Man würde also keinesfalls auf deren wahren Inhalt schließen können, wenn die Wachen genau die Sorte computergestützter Untersuchung vornahmen, mit denen sie sich üblicherweise zufriedengaben.
Es war nicht sonderlich wahrscheinlich, dass die Wachen auf eine persönliche, manuelle Untersuchung bestehen würden. Dieser Teil des Raumhafens wurde fast ausschließlich für Frachttransporte zu den kleineren, weniger gut angesehenen Frachtschiffen im Orbit genutzt. Man ging einfach davon aus, dass ein gewisses Maß an Schmuggelei dazugehörte. Und die Bestechungsgelder, die Carl verteilen würde, sollten voll und ganz ausreichen.
Und wenn nicht ... na ja, dafür war Victor ja da. Mit seiner Kettridge A-3, die er nach wie vor im Ärmel verborgen hielt. Es bestand zumindest eine Chance - und keine allzu schlechte -, dass er sämtliche Wachen würde töten können, bevor sie einen Alarm weiterleiteten. Und dann könnten sie es durchaus schaffen, an Bord des Beischiffs der Hali Sowle zu gehen und auf eine niedrige Umlaufbahn zu kommen, bevor irgendjemand auf dem Raumhafen begriffen hätte, was geschehen war. Es starteten und landeten derart viele Beischiffe, dass sie - falls die Behörden nicht gerade mitbekommen hatten, welches das ihre war - es durchaus schaffen mochten, unbemerkt an Bord der Hali Sowle zu kommen.
Doch natürlich stand zu hoffen, dass es nicht zu einer derart dramatischen Entwicklung kommen würde.
»Na, das wäre das«, sagte Yana. »Victor, ich muss doch sagen, es war mir wirklich ein Vergnügen, jeden Abend zu dir ins Bett zu schlüpfen und mir dabei ganz und gar sicher sein zu können, dass
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