Die Fackeln der Freiheit: Ein Lord-John-Roman (German Edition)
Augenlid kaum merklich zuckte, während Mr Beasleys tintenfleckige Finger penibel die Blätter aus Charles Carruthers’ explosivem Paket wendeten.
Der betagte Sekretär hatte die Aufgabe, eine Liste der Männer zu erstellen, die in den Dokumenten beschuldigt wurden, jene Männer, von denen Carruthers entweder gewusst oder vermutet hatte, dass sie Beziehungen geschäftlicher oder anderer Art mit Siverly unterhalten hatten. Grey sollte sich hier mit Hal und Oberst Harry Quarry – einem der Regimentsobersten und Hals ältestem Freund – zu einer Strategiebesprechung treffen, doch bis jetzt war noch keiner der beiden hier, und so war Grey in Mr Beasleys Arbeitsnische spaziert, um sich ein Buch auszuborgen; der alte Herr hatte eine bemerkenswerte Sammlung französischer Romane in einem seiner Aktenschränke versteckt.
Grey griff nach einem Exemplar von Abbé Prévosts Manon Lescaut und blätterte beiläufig darin herum, während er Beasley verstohlen beobachtete. Er wusste, dass jede Frage zwecklos war; Mr Beasley war der Inbegriff der Diskretion, was nur eine der Eigenschaften war, die ihn für Hal genauso unverzichtbar machten wie für den ersten Grafen von Melton, ihren Vater, der das Regiment gegründet hatte.
Die Beunruhigung nahm zu. Mr Beasley hob seine Feder, um sie in die Tinte zu tauchen, ließ sie aber stattdessen über dem Tintenglas schweben und legte sie dann langsam wieder hin. Er hatte eine Seite gewendet; jetzt drehte er sie wieder um und studierte irgendetwas darauf, die dünnen Lippen so fest zusammengepresst, dass sie fast nicht mehr zu sehen waren.
»Lord John«, sagte er schließlich und setzte seine Brille ab, um kurzsichtig zu Grey aufzublinzeln.
»Ja, Mr Beasley.« Er legte Manon Lescaut augenblicklich beiseite und setzte eine erwartungsvolle Miene auf.
»Wie ich höre, habt Ihr diese Dokumente gelesen?«
»Das habe ich«, sagte Grey vorsichtig. »Vielleicht nicht mit der letzten Aufmerksamkeit, aber …«
»Und Seine Durchlaucht hat sie auch gelesen. Wie – wenn ich das fragen darf – war sein Zustand, nachdem er sie gelesen hatte?«
Grey überlegte. »Nun, er hat nichts zerworfen. Allerdings hat er ausgiebig auf Deutsch geflucht.«
»Ah.« Mr Beasley begriff die Bedeutung dieser Aussage. Seine spachtelförmigen Fingerspitzen trommelten auf dem Tisch; er war aufgeregt. »Könnt Ihr – würdet Ihr sagen, dass er von großer Erregung gepackt wurde?«
»Ja«, sagte Grey prompt.
»Aber er hat nichts … Konkretes … in Bezug auf diese Dokumente gesagt?« Er richtete den Blick auf den geordneten Papierstapel vor ihm.
»Nein …«, sagte Grey langsam. Natürlich hatte Hal das gälische Gedicht bemerkt, wenn es das denn war, doch dieses Blatt hatte man Mr Beasley gar nicht gegeben; es konnte also nicht der Grund für die Bestürzung des Sekretärs sein. Er riskierte eine Frage. »Ist Euch denn etwas aufgefallen?«
Mr Beasley verzog das Gesicht und drehte das Blatt so, dass es Grey zugewandt war.
»Da«, sagte er und zeigte präzise auf die Mitte der Seite. »Seid doch bitte so freundlich und lest diese Liste der bekannten Weggefährten Siverlys.«
Grey leistete seiner Bitte Folge, indem er sich setzte und den Kopf über das Blatt beugte. Drei Sekunden später fuhr sein Kopf auf, und er starrte den Sekretär an. »Grundgütiger!«
»Ja«, sagte Mr Beasley freundlich. »Das habe ich auch gedacht. Ihr glaubt, dass er es nicht gesehen hat?«
»Ich bin mir sicher, dass er es nicht gesehen hat.«
Einen Moment lang starrten sie einander an, denn sie hörten Schritte im Korridor. Grey schluckte.
»Lasst mich das tun«, sagte er, ergriff das Blatt Papier, faltete es hastig zusammen und steckte es ein, dann erhob er sich, um seinen Bruder zu begrüßen.
HAL HATTE draußen eine Kutsche stehen.
»Wir treffen uns bei Almack’s mit Harry«, sagte er.
»Wozu? Er ist doch kein Mitglied dort, oder?« Harry hatte zwar nichts gegen Clubs, doch meistens war er im White’s Chocolate House anzutreffen, das auch Hals bevorzugtes Kaffeehaus war, oder in den Räumen der Gesellschaft zur Wertschätzung des englischen Beefsteaks, die von Grey favorisiert wurde – ein Herrenclub, kein Kaffeehaus. Hin und wieder kam es zu Zusammenstößen zwischen den Stammgästen von White’s und denen von Boodle’s oder Almack’s; die Londoner Kaffeehäuser hatten ein treues Publikum.
»Nein«, sagte Hal angespannt. »Aber Bartholomew Halloran.«
»Und Bartholomew Halloran ist …?«
»Adjutant des
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