Die Fackeln der Freiheit: Ein Lord-John-Roman (German Edition)
abstoßendes Verhalten schadet der gesamten Armee. Außerdem«, fügte er fast nebenbei hinzu, »ist John durch sein Ehrenwort verpflichtet, für Gerechtigkeit zu sorgen.«
»Oh, ich glaube schon, dass Ihr es tun würdet«, versicherte ihm Harry. »Und Grey auch. Es ist nur so, dass Siverly in Irland ist. Das könnte die Lage verkomplizieren, wie?«
»Oh«, sagte Hal, und sein Gesicht verlor jeden Ausdruck.
»Warum?«, fragte Grey, der sich gerade Kaffee nachschenkte, und hielt inne. »Was macht er denn dort?«
»Hol mich der Teufel, wenn ich das weiß. Halloran hat nur gesagt, dass Siverly um eine sechsmonatige Beurlaubung gebeten hat – die ihm auch gewährt wurde –, um Privatangelegenheiten zu regeln.«
»Aber sein Offizierspatent hat er nicht aufgegeben?« Grey beugte sich nervös vor. Er war sich zwar nicht sicher, aber er glaubte nicht, dass ein Kriegsgericht gegen jemanden verhandeln konnte, der nicht mehr in der Armee war. Und Siverly vor ein Zivilgericht zu bringen würde ein sehr viel mühsameres Unterfangen werden.
Harry zuckte mit den Schultern. »Ich glaube nicht. Halloran hat nur gesagt, dass er beurlaubt wurde.«
»Nun denn.« Hal stellte entschlossen seine Tasse hin und wandte sich an seinen Bruder. »Dann brauchst du ja nur nach Irland zu fahren und ihn zurückzuholen.«
DIE ANKUNFT DER KARTENSPIELER verhinderte eine Fortsetzung ihres Gesprächs. Greys Gegner war Leo Clifford, ein junger Hauptmann, der erst vor Kurzem in das Regiment eingetreten war und ausgesprochen angenehme Umgangsformen hatte. Doch er besaß kein besonderes Talent zum Kartenspiel, so dass Grey genug Spielraum blieb, um über ihre Unterhaltung nachzudenken.
» Dann brauchst du ja nur nach Irland zu fahren und ihn zurückzuholen .« Wahrscheinlich sollte er sich geschmeichelt fühlen, dass Hal ihm das zutraute, doch er kannte seinen Bruder gut genug, um zu wissen, dass er damit schlicht seine Erwartungen ausdrückte und nicht etwa ein Kompliment.
Konnte man jemanden in absentia vor Kriegsgericht stellen?, fragte er sich. Das würde er Minnie fragen müssen. Sie hatte Kriegsgerichtsprotokolle über das Verbrechen der Sodomie für ihn herbeigeschmuggelt, als man seinen und Hals Stiefbruder Percy Wainwright festgenommen hatte. Die Armee hatte Percy eigens aus Deutschland zurück nach England transportiert, also war es wahrscheinlich nicht möglich, gegen jemanden zu verhandeln, der nicht selbst anwesend war.
» Repique «, sagte er geistesabwesend. Clifford seufzte und notierte den Spielstand.
Er war über Percy hinweg. Zumindest dachte er das während der meisten Zeit. Doch hin und wieder fiel sein Blick auf einen schlanken jungen Mann mit dunklen Locken, und ein Stich fuhr ihm durchs Herz.
Auch jetzt spürte er einen solchen Stich, ein winziger Rumpler bei dem plötzlichen Gedanken, dass es eher die Erwähnung Irlands als die des Kriegsgerichts gewesen war, die ihn an Percy erinnert hatte. Es hatte dafür gesorgt, dass Percy nach Irland entkam, obwohl sich sein ehemaliger Geliebter schließlich nach Rom durchgeschlagen hatte. Er konnte doch gewiss keinen Grund für eine Rückkehr nach Irland haben …?
» Sixième !«, sagte Clifford freudig. Grey lächelte trotz des Punktverlustes, gab die entsprechende Antwort – »Ich passe« –, was bedeutete, dass er diese Zahl mit seinem Deck nicht schlagen konnte, und verdrängte entschlossen jeden Gedanken an Percy.
Harry hatte zwar vorgeschlagen, dass Grey und Hal nach dem ersten Spiel gehen sollten, doch Grey wusste genauso gut wie Harry, dass dies nicht geschehen würde. Hal war Kartenspieler mit Leib und Seele, und wenn sein Blut einmal in Wallung geriet, bekamen ihn keine zehn Pferde vom Kartentisch fort. Da Pikett ein Spiel für zwei Paare war, konnte Grey natürlich ebenfalls erst gehen, wenn Hal es tat, da sonst eine ungerade Zahl entstand.
Also spielten sie paarweise und wechselten nach jeder Partie den Partner. Die beiden Männer mit der höchsten Punktzahl sollten das letzte Spiel bestreiten. Grey tat sein Bestes, sich nur noch auf das Spiel zu konzentrieren. Dies gelang ihm so gut, dass er aufschrak, als sein Bruder – der jetzt sein Gegner war – auf seinem Stuhl erstarrte und den Kopf scharf zur Tür wandte.
Im Gastraum hatten sich Stimmen zur Begrüßung erhoben, und es klang, als wären mehrere Leute hereingekommen. Inmitten des Lärms hörte er die hohe, seltsam affektierte Stimme des Herzogs von Cumberland. Er starrte Hal an, der den Mund zugekniffen
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