Die Fackeln der Freiheit: Ein Lord-John-Roman (German Edition)
warm, und nach einiger Zeit zog er sich erst die Hose aus und kurz darauf sein Hemd. Er arbeitete nackt weiter und trug nichts als Sandalen und ein Taschentuch, das er sich um die Stirn band, damit ihm der Schweiß nicht in die Augen lief. Es war niemand da, der seine Narben hätte sehen können, niemand außer Quinn, und das störte Jamie nicht.
Es war schon spät, als er das Grab schließlich begradigt hatte. Es war so tief, dass das Wasser unten in das Loch zu sickern begann, so tief, dass kein Fuchs beim Buddeln auf den Sargdeckel stoßen würde. Würden der Sarg und die Leiche gleichzeitig verrotten?, fragte er sich. Oder würde das dunkelbraune Moorwasser Quinn konservieren, so wie es einst den dreifach Ermordeten mit dem Goldring am Finger konserviert hatte?
Er blickte zu dem anderen unmarkierten Grab hinüber, das etwas höher lag. Immerhin würde Quinn nicht allein hierliegen.
Er hatte den Kelch mitgebracht, den Cupán Druìd-riogh , der in Jamies Umhang gewickelt darauf wartete heimzukehren. Doch zu wem? Nach seiner Frage, ob dies der Cupán Druìd-riogh war, hatte Grey den Kelch nie wieder erwähnt. Auch der Abt hatte nicht danach gefragt. Jamie begriff, dass der Kelch in seinen Händen lag, damit er nach Gutdünken damit verfuhr. Doch das Einzige, was er wollte, war, ihn los zu sein.
»Herr, lass diesen Kelch an mir vorübergehen«, murmelte er und schleifte den Sarg an die Kante des Grabes. Er schob ihn mit aller Kraft hinein, und der Sarg tat einen Ruck und fiel mit einem lauten Krank! in die Erde. Jamie zitterte vor Anstrengung, und einen Moment lang stand er keuchend da und wischte sich mit dem Handrücken über das Gesicht. Er vergewisserte sich, dass der Deckel nicht abgesprungen war und der Sarg nicht zersplittert oder auf die Seite gefallen war. Dann griff er noch einmal nach dem Spaten.
Die Sonne sank jetzt auf den Horizont zu, und er arbeitete schnell, denn er wollte nicht Gefahr laufen, die Nacht gestrandet auf der Insel zu verbringen. Die Luft kühlte sich ab, die Mücken schwärmten aus, und er hielt inne, um sich das Hemd wieder anzuziehen. Die Sonne stand tief am Horizont, ihre flachen Strahlen vergoldeten die dahintreibenden Wolken, und die dunkle Oberfläche des Moors glitzerte unter ihm wie Gold und Gagat. Er griff wieder nach dem Spaten, doch bevor er weiterschaufeln konnte, hörte er ein Geräusch, bei dem er sich umdrehte.
Kein Vogel, dachte er, und für die Klosterglocke war es noch zu früh. Es war ein Klang, den er noch nie gehört hatte und der ihm doch irgendwie vertraut erschien. Das Moor war verstummt; selbst das Summen der Mücken war nicht mehr zu hören. Er lauschte, doch das Geräusch wiederholte sich nicht, und er begann langsam weiterzuschaufeln. Hin und wieder hielt er inne und lauschte – worauf, wusste er nicht.
Es erklang erneut, als er fast fertig war. Das Grab war ordentlich aufgehäuft, hatte allerdings noch eine Öffnung am Kopfende. Er hatte vor, den Kelch hineinzulegen, damit Quinn das verflixte Ding mit in die Hölle nehmen konnte, wenn er wollte. Doch als er dann seinen Umhang aufhob, um den Kelch auszuwickeln, begann das Zwielicht, sich vom Boden zu erheben, und das Geräusch drang glasklar durch die stille Luft. Ein Horn.
Hörner. Wie Trompeten, allerdings Trompeten, wie er sie noch nie gehört hatte, und an seinem ganzen Körper stellten sich die Haare auf.
Sie kommen . Er hielt gar nicht erst inne, um sich zu fragen, wer es denn war, der da kam, sondern zog sich hastig Rock und Hose wieder an. Er kam nicht auf den Gedanken zu fliehen, und er fragte sich flüchtig, warum nicht, denn rings um ihn erbebte die Luft auf seltsame Art.
Weil sie nicht deinetwegen kommen , erwiderte die ruhige Stimme in seinem Kopf. Beweg dich nicht .
Jetzt konnte er sie sehen, Gestalten, die langsam aus der Ferne kamen, als materialisierten sie sich aus dem Nichts. Was, so dachte er, exakt das war, was sie gerade getan hatten.
Über dem Wasser hing kein Nebel, doch die Gruppe, die jetzt auf ihn zukam – es waren sowohl Männer als auch Frauen, dachte er – war aus dem Nirgendwo gekommen, denn sie konnten nirgendwo hergekommen sein; hinter ihnen lang nichts als der Sumpf, der sich bis ans Ufer des Sees erstreckte.
Wieder erklangen die Hörner, ein flacher Misston – hätte er es denn gemerkt, wenn es harmonisch klang?, fragte er sich –, und jetzt sah er sie auch, geschwungene Röhren, auf denen sich die Strahlen der untergehenden Sonne fingen und leuchteten wie
Weitere Kostenlose Bücher