Die Fackeln der Freiheit: Ein Lord-John-Roman (German Edition)
Er bewegte sich und war schon im Begriff, seine Hand wegzuziehen, als er hinter sich Schritte auf dem Weg hörte, schnell und schwer.
»Was geht hier vor?« Und natürlich war es Roberts, der ihn mit rotem Kopf finster ansah. Jamie hätte den Mann küssen können.
»Ich habe Mistress Betty eine traurige Nachricht überbracht«, sagte er rasch und zog seine Hand zurück. »Vom Tod eines Verwandten.«
Roberts ließ den Blick sichtlich argwöhnisch zwischen ihnen hin- und herschweifen, doch Bettys Schreck und ihre Trostlosigkeit waren nicht gespielt – und nicht zu übersehen. Roberts, der schließlich kein Dummkopf war, trat rasch auf sie zu, nahm sie beim Arm und beugte sich hilfsbereit über sie.
»Geht es Euch gut, meine Liebe?«
»Ich – ja. Es ist nur … Oh, der arme Toby!«
Betty war ebenfalls nicht dumm, und sie brach in Tränen aus und vergrub ihr Gesicht an Roberts’ Schulter.
Jamie, der dritte Weise im Bunde, dankte im Stillen seinem Schöpfer und zog sich unter gemurmelten Beileidsfloskeln zurück.
Außerhalb des schützenden Küchengartens wehte ein kalter Wind, doch er schwitzte. Auf dem Rückweg zum Stall nickte er Keren-Happuch zu, die mit einer Gemüseschüssel draußen vor dem Garten stand und geduldig darauf wartete, dass das gottlose Benehmen innerhalb der Mauern ein Ende fand.
»Ein Todesfall, ja?«, sagte sie, denn sie war offensichtlich hier, um sich zu vergewissern, dass er am Ende nicht doch unsittliches Geplänkel im Sinn gehabt hatte.
»Ein trauriger Todesfall. Würdet Ihr vielleicht ein Gebet für Tobias Quinns Seele sprechen?«
Eine Miene angewiderter Überraschung huschte über ihr Gesicht hinweg.
»Für einen Papisten?«, sagte sie.
»Für einen armen Sünder.«
Sie schob ihre schmalen Lippen vor und überlegte, nickte dann aber zögernd. »Ich denke schon.«
Er berührte dankend ihre Schulter und setzte seinen Weg fort.
Für die Kirche war Verzweiflung eine Sünde, und Selbstmord war eine unverzeihliche Sünde, da der Sünder sie nicht bereuen konnte. Selbstmörder waren zur Hölle verurteilt, und Gebete daher nutzlos. Doch weder Keren noch Betty waren Papisten, und vielleicht fanden ihre protestantischen Gebete ja Gehör.
Er selbst betete jeden Abend für Quinn. Schaden, so sagte er sich, konnte es schließlich nicht.
39
Und der Nebel zieht über das Moor
Bowness-on-Windermere war ein wohlhabendes Örtchen, dessen Mitte aus einem Labyrinth enger, gepflasterter Sträßchen bestand, umringt von einer Ansammlung verstreuter Häuser und Katen auf dem flachen Hang am Seeufer, wo eine Flotte kleiner Fischerboote vor Anker lag. Von Helwater aus war es eine lange Kutschfahrt, und Lord Dunsany entschuldigte sich für die Umstände und erklärte, dass sich sein Anwalt entschlossen habe, hier zu leben, nachdem er die Eintöpfe Londons gegen das eingetauscht hatte, was er für die bukolischen Freuden des Landlebens hielt. »Er konnte ja nicht ahnen, was für Dinge sich auf dem Land abspielen«, sagte Dunsany finster.
»Was denn für Dinge?«, fragte Grey fasziniert.
»Oh.« Die Herausforderung dieser Frage schien Dunsany etwas zu überraschen, doch er runzelte nachdenklich die Stirn, und sein Gehstock tippte sanft auf das Pflaster, während er langsam auf die Straße zuhumpelte, an der sich die Amtsräume des Anwalts befanden.
»Nun, da waren Morris Huckabee und seine Frau – nur schien sie in Wirklichkeit seine Tochter zu sein. Und ihre Tochter hatte gar nichts mit Morris zu tun, sondern stammte vom Stallknecht des Wirtshauses, wie die Mutter vor Gericht zugegeben hat. Nun würde ja normalerweise die Frau alles erben – der alte Morris war nämlich gestorben und hatte so den ganzen Ärger erst ausgelöst –, doch es stellte sich die Frage: Besaß eine Ehe, die nie amtlich gewesen war – denn der alte Kerl hatte natürlich nie richtig geheiratet, sondern einfach nur allen erzählt, sie wäre seine Frau, und niemand ist auf die Idee gekommen, ihn nach den Einzelheiten zu fragen – und zudem auf einem inzestuösen Verhältnis basierte, gültig? Denn wenn nicht, begreift Ihr, konnte seine Tochter – die, die seine Gattin war, meine ich, nicht die Tochter der Frau – nicht erben. Nun würde unter diesen Umständen das Geld normalerweise an das Kind oder die Kinder aus dieser Ehe übergehen, nur dass in diesem Fall das Kind – die jüngere Tochter – gar nicht Morris’ Tochter war, und während vor dem Gesetz jedes Kind, das in einer Ehe geboren wird, auch als ehelich
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