Die Fackeln der Freiheit: Ein Lord-John-Roman (German Edition)
ihn angekichert und gesagt, na ja, dann könnte ich wohl mitkommen.«
Bettys Haar hing ihr in dicken Strähnen ins Gesicht. Sie strich eine davon mit einem gereizten »Tsch!« beiseite, dann drehte sie sich um und zeigte auf die Straße.
»Wir kamen zur Grenze von Helwater, und er hält an, um sich die Aussicht zu betrachten. Wir sind alle ausgestiegen, und ich stehe noch da und denke, es ist so kalt, und ich habe nur mein Schultertuch dabei, und ich ärgere mich über Isobel, weil sie so etwas Idiotisches tut. Und plötzlich packt mich Mr Wilberforce an den Schultern und schubst mich in den Graben, der verfluchte Mistkerl! Sieh dir das nur an. Da!« Sie packte eine Handvoll ihres verdreckten Rockes und zeigte Jamie einen langen Riss.
»Wohin ist er denn gefahren, weißt du das?«
»Nein, aber ich kann es mir denken! Nach Gretna Green, verdammt, da sind sie hin!«
»Grundgütiger!« Er holte tief Luft und versuchte zu überlegen. »Das schafft er heute Abend aber nicht mehr – nicht mit einem Gig.«
Sie zuckte ungeduldig mit den Achseln. »Was stehst du hier herum? Du musst sofort hinterher!«
»Ich? Aber warum denn ich?«
»Weil du schnell reiten kannst! Und weil du stark genug bist, um sie wieder mitzubringen! Und weil du es für dich behalten kannst!«
Als er sich immer noch nicht in Bewegung setzte, stampfte sie mit dem Fuß auf. »Bist du taub? Du musst sofort los! Wenn er sie entjungfert, ist sie geliefert. Der Kerl ist schon verheiratet.«
»Was? Verheiratet?«
»Willst du wohl aufhören, was zu sagen wie ein verflixter Papagei?«, fuhr sie ihn an. »Ja! Vor fünf oder sechs Jahren hat er ein Mädchen in Perthshire geheiratet. Sie hat ihn verlassen und ist wieder zu ihren Eltern gezogen, und er ist nach Derwentwater gekommen. Ich weiß es von … ach, ist ja auch egal! Geh doch bitte einfach!«
»Aber du …«
»Ich komme schon zurecht! LOS!«, brüllte sie, und ihr Gesicht leuchtete scharlachrot im Funkeln der untergehenden Sonne.
Also ging er los.
SEIN ERSTER IMPULS WAR ES , zum Haus zurückzukehren, in den Reitpferdestall. Aber das hätte zu lange gedauert – und ihn zu umständlichen Erklärungen gezwungen, die nicht nur seinen Aufbruch verzögert hätten, sondern den ganzen Haushalt geweckt hätten.
»Und du kannst es für dich behalten«, hatte Betty gesagt.
»Aye, bestimmt«, murmelte er und hielt im Laufschritt auf die Scheune zu. Doch wenn es überhaupt möglich war, einen offenen Skandal zu verhindern, musste er zugeben, dass wohl nur er es konnte, so wenig ihm der Gedanke auch gefiel.
Es war undenkbar, Wilberforce auf einem der Arbeitspferde zu verfolgen, selbst wenn sie nicht von ihrem Tagewerk geschafft gewesen wären. Doch die Farm hatte zwei ordentliche Maultiere, Whitey und Mike, die den Heuwagen zogen. Sie waren zumindest an den Sattel gewöhnt und hatten den Tag auf der Weide verbracht. Vielleicht war es ja möglich …
Bis sein Kopf an diesem Punkt anlangte, suchten seine Finger längst das Zaumzeug nach einer Trense ab, und zehn Minuten später saß er auf dem Rücken des ebenso verblüfften wie beleidigten Whitey und trabte auf die Straße zu, während ihnen die drei Stallknechte mit offenem Mund hinterherstarrten. Er sah Betty in der Ferne auf das Haus zuhumpeln. Ihre ganze Gestalt strahlte pure Entrüstung aus.
Er selbst empfand nichts anderes. Sein erster Impuls war der Gedanke, dass sich Isobel diese Grube selbst gegraben hatte – doch sie war schließlich noch furchtbar jung und verstand nichts von Männern, schon gar nicht von einem Schurken wie Wilberforce.
Und sie würde in der Tat geliefert sein, wie Betty es so wenig elegant formuliert hatte, wenn Wilberforce sie erst entjungfert hatte. Ihr Leben würde schlicht und ergreifend ruiniert sein. Und es würde ihrer Familie Schaden zufügen – schweren Schaden. Die Dunsanys hatten doch schon zwei ihrer drei Kinder verloren.
Er presste die Lippen fest aufeinander. Er war es Geneva Dunsany und ihren Eltern schuldig, ihre kleine Schwester zu retten.
Er wünschte, er hätte daran gedacht, Betty aufzutragen, dass sie Lord John aufsuchte und ihn wissen ließ, was zu tun war – doch dazu war es jetzt zu spät, und er hätte ohnehin nicht auf Grey warten können. Die Sonne war hinter den Bäumen versunken, obwohl es noch hell am Himmel war; ihm blieb etwa noch eine Stunde, bis es vollständig dunkel war. Vielleicht erreichte er bis dahin ja die Kutschenroute.
Wenn Wilberforce nach Gretna Green wollte, just
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