Die Fackeln der Freiheit: Ein Lord-John-Roman (German Edition)
jenseits der schottischen Grenze, wo er Isobel ohne die Zustimmung ihrer Eltern heiraten konnte – und ohne dass ihm jemand Fragen stellte –, dann musste er die Route nehmen, die die Kutschen von London nach Edinburgh nahmen. Sie verlief einige Meilen von Helwater entfernt. Und sie war von Wirtshäusern gesäumt.
Nicht einmal ein Heiratsschwindler auf der Flucht würde versuchen, bei Nacht bis nach Gretna zu fahren. Sie würden irgendwo übernachten und am Morgen weiterfahren müssen.
Möglicherweise erwischte er sie ja noch rechtzeitig.
IM DUNKELN EIN MAULTIER ZU REITEN war zwar um einiges sicherer als einen Gig zu fahren, doch auch das war nichts, was ein vernünftiger Mensch mit Begeisterung tat. Er zitterte – und das nicht nur vor Kälte, auch wenn er nichts als eine Lederweste über dem Hemd trug – und fluchte auf eine Weise, bei der selbst Betty nicht mithalten konnte, als er schließlich die Lichter der ersten Poststation sah.
Er übergab das Maultier an einen Stallknecht, damit er es tränkte, und fragte unterdessen, ob hier vielleicht ein Gig mit einem gut gekleideten Mann und einer jungen Frau gehalten hatte?
Nein, doch der Stallknecht hatte ein solches Fahrzeug vorbeifahren gesehen, kurz bevor es dunkel wurde, und den Fahrer noch für einen Idioten gehalten.
»Aye«, sagte Jamie knapp. »Wie weit ist es bis zum nächsten Wirtshaus?«
»Zwei Meilen«, erwiderte der Mann und sah ihn neugierig an. »Ihr seid hinter ihm her, nicht wahr? Was hat er denn getan?«
»Nichts«, versicherte ihm Jamie. »Er ist Anwalt, unterwegs ans Sterbebett eines Klienten, der sein Testament noch ändern möchte. Er hat einige Papiere vergessen, die er braucht, also hat man mich hinterhergeschickt, um sie ihm zu bringen.«
»Oh.« Wie jeder andere Mensch interessierte sich auch der Stallknecht nicht für Rechtsangelegenheiten.
Jamie hatte kein Geld, also teilte er sich das Wasser mit dem Maultier, indem er etwas mit der Hand aus der Tränke schöpfte. Der Stallknecht nahm es ihm übel, dass er kein Geld hatte, doch Jamie baute sich nur bedrohlich vor ihm auf, und der Stallknecht ging auf Abstand und beschimpfte ihn lediglich murmelnd aus der sicheren Ferne.
Weiter ging’s, nach einem kurzen Kräftemessen zwischen Jamie und dem Maultier, und ab in die Nacht. Der Halbmond war gerade aufgegangen, und als er nun höher stieg, konnte Jamie zumindest den Straßenrand sehen und brauchte daher nicht zu befürchten, sich im Dunklen zu verlaufen.
Biddle war keine Poststation, sondern eine kleine Ansiedlung mit einem Wirtshaus – vor dem der Gig aus Helwater mit losen Leinen stand. Jamie sprach ein rasches »Ave Maria« zum Dank, bat mit einem »Vaterunser« um Kraft und schwang sich grimmig aus dem Sattel.
Er band Whitey an ein Geländer und hielt inne, um sich das stoppelige Kinn zu reiben und zu überlegen, wie er vorgehen sollte. Auf die eine Weise, wenn sie sich in getrennten Zimmern befanden – jedoch anders, wenn sie zusammen waren. Und wenn Anwalt Wilberforce der Mann war, für den ihn Betty hielt, hätte Jamie auf zusammen gewettet. Der Mann würde es nicht riskieren erwischt zu werden, bevor er nicht Tatsachen geschaffen hatte; er würde die Eheschließung nicht abwarten, bevor er das Mädchen deflorierte, denn wenn er sie erst entjungfert hatte, gab es kein Zurück mehr.
Am einfachsten würde es sein, wenn er einfach hineinspazierte und zu erfahren verlangte, wo sich Wilberforce und Isobel aufhielten. Doch wenn es nicht nur darum ging, die sturköpfige Kleine vor dem Verderben zu retten, sondern auch darum, einen Skandal zu verhindern, war es besser, wenn er das nicht tat. Stattdessen begab er sich lautlos zur Rückseite des Wirtshauses und betrachtete die Fenster.
Es war ein kleines Haus: nur zwei Zimmer in der ersten Etage, und nur in einem davon brannte Licht. Die Fensterläden waren geschlossen, doch er sah einen Schatten an dem Spalt in der Mitte vorbeigehen, und während er in der scharf riechenden Dunkelheit stand und wartete, hörte er Isobel kichern, schrill und nervös, und Wilberforce antwortete brummend.
Also war es noch nicht zu spät. Er holte tief Luft und spreizte die Hände, die steif vor Kälte und vom langen Reiten waren.
Ein alter Liedtext aus den Highlands ging ihm durch den Kopf, während er den baufälligen Schuppen hinter dem Wirtshaus durchsuchte. Die Melodie kannte er zwar nicht, doch es war eine Ballade, und er erinnerte sich an die Geschichte, in der es um eine entführte
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