Die Fackeln der Freiheit: Ein Lord-John-Roman (German Edition)
war nicht das erste Mal, dass er vor Schreck oder Schmerz in Ohnmacht fiel. Doch es war auch noch nicht oft vorgekommen, und noch nie vor einem Feind. Und nun saß er hier, trank Tee aus einer goldgeränderten Porzellantasse und aß gemeinsam mit besagtem Feind Sandwiches und Kuchen von einem ganz ähnlich verzierten Teller. Er war verwirrt, verärgert und völlig überrumpelt. Es gefiel ihm nicht.
Andererseits war das Essen ausgezeichnet, und er war tatsächlich ausgehungert. Sein Bauch war ein einziger Knoten gewesen, seit sie in Sichtweite Londons kamen, also hatte er nicht gefrühstückt.
Man musste Pardloe zugestehen, dass er nicht versuchte, die Schwäche seines Gastes auszunutzen. Er sagte nichts außer einem gelegentlichen »Noch etwas Schinken?« oder »Gebt mir doch bitte den Senf« und aß mit der konzentrierten Manier eines Soldaten. Weder suchte er Jamies Blick noch wich er ihm aus.
Die Frau war ohne ein weiteres Wort gegangen und nicht zurückgekehrt. Wenigstens eines, wofür er dankbar war.
Er hatte sie als Mina Rennie gekannt; der Himmel wusste, wie ihr Name wirklich lautete. Sie war die siebzehnjährige Tochter eines Buchhändlers in Paris gewesen, der mit Informationen handelte, und sie hatte mehr als einmal Botschaften zwischen ihrem Vater und Jamie hin- und hergetragen, damals, während jener Tage der Intrige vor dem Aufstand. Paris erschien ihm so fern wie der Planet Jupiter. Die Entfernung zwischen einer jungen Spionin und einer Herzogin jedoch schien noch größer zu sein.
» Um des Zieles willen, das einmal das unsere war. « War das wirklich so gewesen? Er hatte sich keine Illusionen gemacht, was den alten Rennie betraf; seine Loyalität hatte einzig dem Gold gegolten. Hatte sich seine Tochter tatsächlich als Jakobitin betrachtet? Er aß ein Stück Kuchen und genoss geistesabwesend die knusprigen Walnüsse und den köstlichen, exotischen Geschmack nach Kakao. Seit Paris hatte er keine Schokolade mehr zu Gesicht bekommen.
Er nahm an, dass es wohl möglich war. Die Sache der Jakobiten hatte so manches romantische Gemüt angelockt – wie so manches Unternehmen, das zum Scheitern verurteilt war. Das ließ ihn abrupt an Quinn denken, und die Haare auf den Unterarmen standen ihm zu Berge. Himmel. In der Aufregung der letzten Tage hatte er den Iren und seine schwachsinnigen Pläne fast vergessen. Was würde Quinn wohl denken, wenn er hörte, dass er von englischen Soldaten verschleppt worden war?
Nun, in diesem Moment konnte er weder in Bezug auf Quinn noch auf die Herzogin von Pardloe das Geringste unternehmen. Eins nach dem anderen. Er leerte seine Tasse, beugte sich vor und stellte sie leise klirrend auf die Untertasse – das Signal, dass er jetzt bereit war zu reden.
Der Herzog stellte seine Tasse ebenfalls ab, wischte sich den Mund mit einer Serviette ab und sagte ohne Umschweife: »Würdet Ihr sagen, dass Ihr in meiner Schuld steht, Mr Fraser?«
»Nein«, sagte er ohne jedes Zögern. »Ich habe Euch nicht darum gebeten, mir das Leben zu retten.«
»Nein, das habt Ihr nicht«, sagte Pardloe trocken. »Ihr habt sogar verlangt, dass ich Euch erschieße, wenn ich mich recht erinnere.«
»So ist es.«
»Macht Ihr mir Vorwürfe, weil ich es nicht getan habe?« Der Ton der Frage war ernst, und Jamie antwortete auch genauso.
»Damals ja. Doch heute nicht mehr, nein.«
Pardloe nickte.
»Nun denn.« Er hielt beide Hände hoch und klappte einen Daumen ein. »Ihr habt das Leben meines Bruders verschont.« Der andere Daumen verschwand. »Ich das Eure.« Ein Zeigefinger. »Ihr hattet Einwände dagegen.« Der andere Zeigefinger. »Doch inzwischen habt Ihr diese zurückgezogen?« Er zog die Augenbrauen hoch, und Jamie verkniff sich den zögerlichen Impuls zu lächeln. Stattdessen neigte er kaum merklich den Kopf, und Pardloe nickte und ließ die Hände sinken.
»Dann stimmt Ihr mir zu, dass es zwischen uns keine offene Rechnung mehr gibt? Kein schleichendes Gefühl, dass Euch Unrecht getan wurde?«
»So weit würde ich nicht gehen«, erwiderte Jamie seinerseits sehr trocken. »Ihr habt ja noch drei Finger. Aber es gibt keine offene Rechnung mehr, nein. Nicht zwischen uns.«
Der Mann war nicht dumm; die schwache Betonung auf dem »uns« entging ihm nicht.
»Eure etwaigen Meinungsverschiedenheiten mit meinem Bruder kümmern mich nicht«, sagte Pardloe. »Solange sie der Abmachung nicht im Weg sind, die ich Euch vorschlagen möchte.«
Jamie fragte sich, was genau John Grey seinem Bruder
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