Die Fackeln der Freiheit: Ein Lord-John-Roman (German Edition)
Leib erfahren hätte, was der Ehrbegriff der Familie Grey bedeutete.
Selbst das … doch es gab noch eine dritte Möglichkeit, nicht wahr?
Es war möglich, dass Siverly sich wehrte. Und dass er ums Leben kam.
»Grundgütiger«, sagte er leise.
Was, wenn Pardloe wollte , dass Siverly umkam? Einmal in Worte gefasst, erschien ihm diese Möglichkeit so gewiss, als hätte er sie in Paarreimen niedergeschrieben gesehen. Ganz gleich, was die Herzogin ihm während ihres nächtlichen Besuchs zu sagen schien , irgendetwas an dieser ganzen Affäre berührte sie im Innersten – und was sie berührte, berührte auch den Herzog.
Er hatte keine Ahnung, was für eine Verbindung zwischen der Herzogin und Edward Twelvetrees bestand, doch er war sich sicher, dass sie existierte. Und die Herzogin hatte ihm erzählt, dass Edward Twelvetrees ein Vertrauter Siverlys war. Etwas bewegte sich in dem Netz, das ihn umgab, und er konnte das warnende Zucken des klebrigen Fadens spüren, der seinen Fuß umwickelte.
Er holte tief Luft und atmete langsam wieder aus.
Im kalten Licht der Logik war die Antwort offensichtlich – eine Antwort zumindest. Jamie war hier, weil er entbehrlich war. Besser noch: weil er einfach aufhören konnte zu existieren.
Niemand interessierte sich dafür, was aus einem Kriegsgefangenen wurde, schon gar nicht aus einem, der schon so lange in solcher Abgeschiedenheit lebte. Von den Dunsanys würde keine Beschwerde kommen, wenn er nicht zurückkehrte, und sie würden auch nicht fragen, was aus ihm geworden war. Seine Schwester und Ian würden das vielleicht tun – nun, sie würden es tun –, doch es würde nicht schwer sein, ihnen einfach mitzuteilen, dass er an einer Krankheit gestorben war, und es dabei zu belassen. Sie würden keine Möglichkeit haben, der Sache nachzugehen oder die Wahrheit herauszufinden, selbst wenn sie den Verdacht hatten, dass man sie angelogen hatte.
Und wenn er sich gezwungen sah , Siverly zu töten – oder wenn sich die Sache so drehen ließ, dass es aussah, als hätte er ihn getötet … er erschauerte. Es war gut möglich, dass er dafür vor Gericht gestellt und hingerichtet wurde, wenn sie beschlossen, damit an die Öffentlichkeit zu gehen; wer würde schon etwas um sein Wort geben? Oder John Grey konnte ihm einfach die Kehle durchschneiden und ihn in einem irischen Sumpf versenken, wenn er seinen Zweck erfüllt hatte, und der Welt erzählen, was immer er wollte.
Ihm war heiß und kalt zugleich, und er musste sich zum Atmen zwingen.
Er hatte gedacht, es würde eine einfache, wenn auch lästige Angelegenheit werden: Er würde tun, was Pardloe verlangte, und sich dann nach Helwater und zu William zurückschicken lassen. Doch wenn es so weit kam …
Auf ein Geräusch hin öffnete er die Augen und sah John Grey mit offenem Mund vor sich stehen.
»Ich … bitte um Verzeihung«, sagte Grey, der sich mühsam zusammennahm. »Es war nicht meine Absicht, Euch zu stören …«
»Was zum Teufel habt Ihr hier zu suchen!?« Ohne es zu beabsichtigen, fand er sich auf den Beinen wieder und hatte die Faust in Greys Hemd gekrallt. Grey riss abrupt den Arm hoch, um sich zu befreien, trat einen Schritt zurück und steckte sich das zerknüllte Hemd wieder in die Weste.
»Ihr seid wirklich der empfindlichste Hurensohn, der mir je begegnet ist«, sagte Grey mit rotem Kopf. »Und das schließt Männer wie meinen Bruder und den König von Preußen mit ein. Ist es wirklich nicht möglich, dass Ihr Euch einmal länger als zehn Minuten am Stück zivil benehmt?«
»Empfindlich, wie?« In Jamies Schläfen pochte das Blut, und es gelang ihm nur mit Mühe, die Fäuste hängen zu lassen.
»Ich gestehe ja ein, dass Eure Situation unangenehm ist«, sagte Grey, unübersehbar um Versöhnlichkeit bemüht. »Ich gebe zu, dass Ihr Euch provoziert fühlen müsst. Doch das …«
»Unangenehm? So nennt Ihr das? Ich soll für Euch die Kohlen aus dem Feuer holen, um das zu retten, was Ihr Eure Ehre nennt.« Er befand sich so weit jenseits der Wut, dass seine Stimme vollkommen ruhig war. »Und Ihr nennt das eine Provokation?«
»Was?« Grey packte Jamie am Ärmel, als dieser sich zum Gehen wandte, und hielt dem verächtlichen Blick stand, der sich auf ihn richtete. »Was zum Teufel meint Ihr damit?«
Er riss Grey seinen Ärmel aus der Hand.
»Ich spreche genauso gut Englisch wie Ihr, verfluchter Feigling, und Ihr versteht mich sehr gut!«
Grey holte Luft, und Jamie konnte sehen, wie die Gedanken in rascher Folge
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