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Die Fährte der Toten

Die Fährte der Toten

Titel: Die Fährte der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael White
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Weg weist.
     
    'Hallo Pete.'
     
    Pete zuckt kurz zusammen.
     
    'Hallo Sister Moon.'
     
    Er versucht Lee zu entdecken, aber seine Augen können die Dunkelheit nicht durchdringen, bis sie wie aus dem Nichts erscheint. Du hast dich nicht verändert, denkt er. Nur deine Augen – sie haben sich nun endgültig in Ozeane verwandelt, in deren Untiefen man versinken kann.
     
    'Es freut mich, dass du gekommen bist. Und gleichzeitig macht es mich traurig.'
     
    Lee blickt an Pete vorbei in die Schatten.
     
    ‚Du bist allein?‘
     
    ‚Ja.‘
     
    ‚Wo sind die anderen?‘
     
    ‚Um ehrlich zu sein – ich weiß es nicht. Wobei…‘
     
    Pete macht eine hilflose Geste, und Lee nickt.
     
    ‚Du möchtest sicher wissen, warum ich dich gerufen habe. Nicht wahr, alter Freund?'
     
    'Ja. Und nein. Ich denke ich weiß, warum du hier bist. Wobei ich nie gedacht hätte, dass du es sein wirst.'
     
    Warum, schießt es ihm durch den Kopf? Warum? Er möchte ihr die Frage ins Gesicht schreien, doch er bleibt stumm.
     
    'Die alte Frage. Ich habe lange darüber nachgedacht, was ich tun würde, wenn wir uns wiedersehen. Ich hatte mir so viele Worte zurechtgelegt. Und jetzt sind sie alle fort…'
     
    Lee wischt sich etwas aus den Augen. Pete schaut auf ihre Fingerspitzen, die mit einem Hauch von Blut überzogen sind und spürt Angst in sich aufsteigen.
     
    'Die ganzen Jahre habe ich immer wieder an dich gedacht, an dich und die anderen' sagt Lee.
     
    'Manchmal habe ich dich aus der Ferne beobachtet. Wollte zu dir kommen. Mich bei dir entschuldigen. Es dir erklären. Ich konnte es nicht. Es hätte allen nur Kummer und Leid gebracht. Und jetzt reicht es nicht einmal mehr, dass ich mich fernhalte. Die Jagd hat begonnen.'
     
    'Was ist geschehen?'
     
    Lees Stimme stockt für einen Moment.
     
    'Weißt du, du hast dich vielleicht nicht verändert, aber ich habe es getan. Wir gehen auf unseren Straßen weiter, in der Hoffnung diesen Ort der Verheißung zu finden, von dem wir nicht einmal wissen, wo er ist.
     
    Meine Straße hat mich ans Ende der Nacht geführt.'
     
    Mit einer endlos langsamen Bewegung holt sie einen schweren Revolver hinter ihrem Rücken hervor, richtet ihn auf Pete und spannt den Hahn. Das metallische Klicken hallt gespenstisch durch das totenstille Haus.
     
    Auf Petes Gesicht erscheint ein trauriges Lächeln, und ein seltsames Gefühl der Erleichterung breitet sich in  ihm aus. Fast wird er ein wenig euphorisch, aber das Gefühl verfliegt so schnell wie es gekommen ist und macht einer tiefsitzenden Müdigkeit Platz. Sie kennen sich schon so lange, denkt er, und nun sind sie am Ende ihres Weges angekommen. Jeder auf seine Weise. Jeder hat seine ganz eigene Hölle, sie hat ja so Recht. Wer wüsste das besser als er.
     
    'Ich verstehe. Das heißt, ich verstehe nicht, was mit dir geschehen ist, aber ich verstehe, dass sich unsere Wege trennen werden. Trennen müssen', sagt Pete.
     
    Die Sekunden scheinen sich zu einer Ewigkeit zu dehnen, während er auf den Einschlag der Kugel wartet, doch nichts geschieht.
     
    'Warum? Warum lässt Du mich gehen?'
     
    'Nenn es alte Freundschaft. Nenn es ein Abschiedsgeschenk. Die Dinge ändern sich, aber für uns sollen sie heute Nacht noch einmal so sein, wie sie immer waren. Und deshalb geh. Verlass diese Gegend. Dieses Land. Diesen Kontinent. Für immer. Such dir ein neues Leben. Ich schenke es dir. Das ist alles, was ich für dich tun kann.'
     
    'Lee, ich - '
     
    'Jetzt hau endlich ab!'
     
    Langsam geht Pete rückwärts zur Tür, weg von dem Wesen, das einmal ein so wildes und gleichzeitig so verletzliches Mädchen namens Lee war. Ein Mädchen, das er auf seine ganz eigene Art verstanden und geliebt hat und das nun zu etwas geworden ist, von dem er im Grunde seines Herzens nicht wissen möchte, was. Als er die Tür erreicht, dreht er sich noch einmal um, doch Lee ist in der Dunkelheit verschwunden.
     
    ***
     
    Lee lehnt sich an den Türrahmen ihres alten Zimmers. Sie wartet auf die Rückkehr von Erinnerungen aus einer Zeit, die eine gefühlte Ewigkeit her zu sein scheint. Aber nichts geschieht. 
     
    Eigentlich hatte sie erwartet, dass ihr dieser Ort noch etwas bedeuten würde. Sie streicht mit den Fingerspitzen über ein Poster, das immer noch an der Wand hängt. Es hat sich nichts verändert. Niemand hat Anspruch erhoben auf diesen Ort. Er gehört den Geistern und den Toten.
     
    Sie haben es geschafft, dir alles zu nehmen, denkt sie – deine Familie, deine

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