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Die Fährte der Toten

Die Fährte der Toten

Titel: Die Fährte der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael White
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Freunde, dein Leben, deine Vergangenheit.
     
    Es ist eine Ironie des Schicksals, dass es ausgerechnet Frank war, der ihr eine zweite Chance gegeben hat. Sie ist tot. Für alle und jeden dort draußen. Eigentlich bist du jetzt zum ersten Mal wirklich frei, denkt sie. Wenn da nicht der Wunsch nach Vergeltung wäre.
     
    Doch wie heißt es so schön - Rache ist ein Gericht, das man am besten kalt genießt.
     
    Ihre Rache wird eiskalt sein.

 
Engel / 1
     
    Die Besucherströme, die die Kathedrale den ganzen Tag über wie ein Ameisenvolk durchschwärmt haben, sind versiegt, und Stille hat sich ausgebreitet. Jennifer hat gewartet, bis die schweren Flügeltüren des Gebäudes für die Nacht geschlossen worden sind, bevor sie durch einen Seiteneingang eingetreten ist.
     
    Sie war schon oft hier, aber sie ist immer wieder beeindruckt von der Architektur und der Tatsache, dass es Menschen waren, die all das hier geschaffen haben, über mehrere Generationen von Baumeistern hinweg. Und dazu noch mit solch primitiven Mitteln. Menschen. Einige ihrer Art unterschätzen sie. Bezeichnen sie als sprechende Affen. Wie arrogant, denkt sie. Und wie unklug.
     
    Ihre Schritte hallen auf dem Marmorboden wieder, als sie sich ohne Eile durch das Seitenschiff in Richtung des prachtvollen Altars begibt. Jennifer erinnert sich an die Zeit, als sie Orte wie diesen noch mit Andacht betreten hat. Wie lange ist das nun her? Sie kann sich nicht erinnern. Einige von ihnen verlässt dieses Gefühl nie. Bei ihr dagegen ist es im Laufe der Jahrhunderte langsam erodiert, bis es schließlich ganz verschwand.
     
    Sie erreicht den Mittelgang und erblickt eine in ein strahlend weißes Licht getauchte Gestalt, die regungslos vor dem Altar verharrt. Sie wendet ihren Blick nicht ab, als sie zu Jennifer spricht, die nach einigen weiteren Schritten kurz vor der untersten Stufe verharrt.
     
    'Das Kind – es ist nun wie wir. Sie haben das Sakrileg begangen und sie verwandelt vor der ihr bestimmten Zeit. Sie ist ihnen entkommen, doch nun hat die Jagd auf sie begonnen. Und er - er hat es ebenso gefühlt wie ich. Er ist erwacht, nach all der Zeit. Vielleicht war er auch nie wirklich fort. Aber sei es wie es sei, das Spiel beginnt erneut.'
     
    Sie könnte eine wundervolle Sängerin sein, denkt Jennifer. Ihre Stimme – so betörend. Als wenn eine Göttin zu ihr sprechen würde. Und in gewisser Weise ist das ja auch so.
     
    Die Gestalt dreht sich nun um, und Jennifer neigt reflexhaft den Kopf, teils aus Respekt, teils weil sie jedes Mal überwältigt ist von der unfassbaren Schönheit des Gesetzes. Einer Schönheit, die einen unwissenden Betrachter allzu leicht dazu verführt, das zu übersehen, was sich dahinter verbirgt. Aber Jennifer weiß es besser. Das Gesetz gleitet die Stufen hinab und beginnt mit grazilen Schritten um sie herumzugehen, während Jennifer sich keinen Millimeter rührt. Auch wenn sie gerne würde, um das Gesetz nicht in ihrem Rücken zu wissen. Denn sie fühlt sich trotz der Vertrautheit der Jahrhunderte immer noch unwohl in seiner Anwesenheit.
     
    Was willst du von mir, nach all der Zeit? Aus den Augenwinkeln glaubt Jennifer den Hauch eines Lächelns zu bemerken. Es bedarf keiner Worte. Nicht bei einem Wesen wie ihr. Tief in Jennifers Innern regt sich etwas, aber sie besänftigt es sofort, und es sinkt zurück in seinen unruhigen Schlummer.
     
    ‘Du hast viel Geduld bewiesen', erklingt die Stimme des Gesetzes in Jennifers Kopf. 'Und du hast mir immer treu gedient. Ich weiß das zu schätzen. Deshalb will ich dir von Dingen berichten, die vor langer Zeit geschahen.'
     
    Jennifer spürt, wie die sorgfältig um ihren Geist errichtete Barriere in sich zusammensinkt und die Melodie ihre Gedanken umflutet, sich einen Weg in ihr Innerstes bahnt und jeden Gedanken an Widerstand mit sich in die Tiefe zerrt.
     
    'Unsere Suche, sie war so lang gewesen. Durch alle Reiche waren wir gewandert, bekannte und unbekannte. Flüsse und Berge, selbst Meere hatten wir überwunden, bis wir endlich den Ruf vernahmen. Wir nutzten das verbotene Wissen der Alten und durchbrachen die Mauer des Schlafes, welche seit Äonen die Welt der Lebenden von der Welt der Toten trennt.'
     
    Jennifer erblickt vor ihrem geistigen Auge eine Höhle, die sich wie ein Halbkreis erhebt. Sie hat das Gefühl, in den Himmel zu schauen und gleichzeitig von der unsichtbaren Decke erdrückt zu werden. Dann sieht sie den Teich. Eine eigenartige Kälte geht von ihm aus, und seine

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