Die Fährte der Toten
können wir später klären. Jetzt fühl dich einfach erst mal wie zu Hause. Denn das wird mein Haus in der nächsten Zeit für dich sein. Möchtest du etwas zu trinken?'
Sie deutet auf eine Karaffe, die auf einem kleinen Beistelltisch steht.
Lee kommt sich dämlich vor. Was soll das? Nicht das sie sich sicher ist, dass Wein in der Karaffe ist. Vom Geruch her würde sie sagen nein. Wenn doch welcher drin ist, kann sie sich nur blamieren. Denn sie würde das Zeug sowieso nicht runter kriegen. Wahrscheinlich einfach nur ein Test, wie blöd sie sich anstellt.
'Nein danke, ich brauch nichts.'
'Ah, ich verstehe. Keine Sorge.'
Ein Lächeln kräuselt Jennifers Lippen, während sie ein Kristallglas nimmt und einen Schluck der dunkelroten Flüssigkeit hineinlaufen lässt – mit dem Ergebnis, dass sich ein sehr angenehmer Duft im Raum verteilt. Ohne dass Lee etwas dagegen tun kann, beugt sie sich sofort leicht vor, dem Aroma entgegen, ein leichter Glanz von Gier in den Augen, die Hand fast schon ausgestreckt um das Glas in Empfang zu nehmen – nur um sich innerlich sofort zu verfluchen. Sie führt sich auf wie eine rollige Katze, die sich auf der Wiese suhlt...
'Nimm. Nur zu. Du brauchst dich nicht zu schämen. Du wirst lernen, dich zu beherrschen. Aber das ist in der Tat eine Übung, die nicht so leicht zu meistern ist, wie sich die meisten unserer Art das so vorstellen.
Selbstbeherrschung ist für uns so überlebenswichtig wie schwierig. Ein Ziel, das alle anstreben, aber nur wenige erreichen. Eine Klippe, an der schon viele zerschollen sind, die sich für mächtig und unbezwingbar hielten.
Also, wieso sollte dir am Anfang so leicht fallen, was sich für so viele als unüberwindbare Hürde herausgestellt hat?'
Lee starrt während der ganzen Zeit unentwegt auf das Glas und muss sich von dem Anblick losreißen, um Jennifer wieder in ihre dunklen Augen zu blicken.
'Woher soll ich das wissen. Ich meine - ich bin gerade mal ein schlappes Jahr in diesem Club, oder was das alles hier auch immer sein soll. Aber immerhin hat mich noch kein Bus gerammt, als ich über die Straße ging, also kann ich nicht so ganz blöde sein, was?'
Immer noch lächelnd und dabei leicht den Kopf schüttelnd erhebt sich Jennifer und benetzt ihre Lippen mit der Flüssigkeit aus dem Glas. Sie beugt sich aufreizend langsam zu Lee hinunter – und küsst sie sanft auf den Mund. Der Duft und das Aroma des Blutes auf Jennifers Lippen sind so verführerisch, dass Lee unwillkürlich die Augen schließt und es von Jennifers Lippen leckt. Nur um von einem auf den anderen Moment festzustellen, dass sich Stahlklammern um ihre Handgelenke gelegt haben.
'Siehst du, kleine Schwester? So einfach lässt du dich von deiner Gier, deiner Lust, deiner Leidenschaft treiben und beherrschen. So nah lässt du mich an dich herantreten, dich berühren, so schnell vergisst du, wer und vor allem was ich bin. Nämlich ein Raubtier. Das dich jetzt gerade im Griff hat. Und über dich herfallen, dir die Kehle herausreißen könnte, wenn es mir beliebt. Wie gefällt dir das, kleine Schwester?'
Lee versucht sich aus der Umklammerung zu befreien, und aus ihrer Kehle kommt ein wütendes Fauchen, während ihre Augen sich zu schmalen Schlitzen verengen, aber ihre Arme lassen sich keinen Millimeter bewegen. Jennifer hält sie auf dem Sessel wie festgenagelt, nicht einmal ihre Beine kann sie einsetzen, um sich zu befreien. In ihrem Innern spürt sie schon den so vertrauten Zorn hochkochen, als Jennifer sie loslässt und einen geschmeidigen Schritt nach hinten macht.
'Ich habe den Eindruck, dir gefällt nicht nur der Geschmack. Sondern auch die körperliche Nähe. Interessant. Das kann von Vorteil wie von Nachteil für dich sein. Du wirst lernen müssen, mit deinen Begierden umzugehen. Die meisten von uns verlieren ihre Bindung an diesen Teil ihrer Menschlichkeit sehr schnell. Du anscheinend nicht. Dafür hast du anderes sehr schnell abgelegt, wie ich erleben durfte. Wie Mitgefühl oder Gewissensbisse, wenn es darum geht, die körperliche Unversehrtheit anderer Kreaturen zu missachten. Du hinterlässt eine ziemlich unübersehbare Spur für diejenigen unserer Art, die sich auf deine Fährte gesetzt haben. Denn es ist nicht nur meine Wenigkeit, die dich sucht. Ich bin nur diejenige, die erfolgreicher war als andere.'
Lee massiert sich ihre Handgelenke und starrt Jennifer an.
'Wie schön für mich. Und ja, ich habs
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