Die Fährte der Toten
die Bremsen. Tanya wird mit Wucht in den Gurt gepresst, und für einen Moment bleibt ihr die Luft weg, während sie wieder in den Sitz zurückgeschleudert wird. Die Stadtgrenze liegt jetzt hinter ihnen, keine Straßenlaternen sind in Sicht, kein anderes Auto weit und breit. Sie sind allein. Lee löst Tanyas Gurt, beugt sich an ihr vorbei und öffnet die Wagentür. Der Motor läuft weiter, ein sattes Brummen, das die anderen nächtlichen Geräusche übertönt, während die Lichter der Scheinwerfer in die Nacht hinausstrahlen und wie Messer Stücke aus der Dunkelheit herausschneiden.
'Ich mag deinen Willen. Und ich denke, du hast dir eine Chance verdient. Also los, lauf! Du bist frei! Ich gebe dir einen Vorsprung. Wie viel willst du? Fünf Minuten? Zehn Minuten? Diese Nacht? Bis du ein Telefon findest, um die Bullen zu rufen? Damit sie mich verhaften? Oder doch lieber so lange, bis dich die Typen finden, die unseren Freund geschickt haben? Und die dir liebend gern ein paar Fragen stellen würden, was mit ihm passiert ist?
Lee sieht Tanya die ganze Zeit an, und Tanya weiß, dass sie Recht hat – sie hat keine Ahnung, wo sie hin soll. Selbst wenn sie es zur Polizei schafft – was will sie dort erzählen? Hallo Officer, ich habe da Gräfin Dracula bei der Arbeit gesehen, könnten Sie sich mal darum kümmern? Ja? Besten Dank auch, ich besorg so lange schon mal ein paar Donuts.
'Ok. Ich gebe auf. Was passiert jetzt? Legst du mich auch um?'
'Ich bin kein Monster. Auch wenn du das vielleicht glaubst, weil ich dieses Schwein umgelegt habe.'
Lees Lippen sind zu einem Lächeln geformt.
'Und ich will dich nicht töten. Warum sollte ich? Das hätte ich einfacher haben können. Nein, ich mag dich. Ich mag dich sogar sehr.'
Lee beugt sich zu Tanya herüber und streicht ihren blonden Haare zur Seite, um Tanyas Hals freizulegen, und für eine Sekunde hat Tanya das Gefühl, dass ihr Herz stehen bleibt. Doch es beginnt ganz im Gegenteil wild zu pochen. Tanya spürt, wie etwas über ihre Haut streicht, wie eine Rasierklinge, langsam, sachte, zärtlich. Seltsamerweise löst die Berührung keine Angst bei ihr aus. Sondern Verlangen. Ein Verlangen, wie sie es schon lange nicht mehr verspürt hat und das alles andere beiseiteschiebt, insbesondere den Gedanken an Flucht. Wozu Flucht? Wenn sie das haben kann. Dann ist die Berührung vorbei, und Lee lehnt sich grinsend zurück.
'Das ist nur ein kleiner Vorgeschmack auf später. Vorausgesetzt, du ziehst mein Bett einem Wettrennen mit mir oder meinen Feinden vor.'
Lee wartet kurz und schließt dann die Beifahrertür.
'Nachdem wir das also geklärt hätten - können wir ja nach Hause fahren, oder?'
Tanya nickt nur und verharrt während der weiteren Fahrt schweigend auf ihrem Sitz, während die Lichter der Stadt hinter ihr immer kleiner werden.
***
'Mach dich ein wenig frisch, Kleine. Ich warte auf dich.'
Lee hatte ihr zugezwinkert und war dann ohne ein weiteres Wort in Richtung Schlafzimmer verschwunden. Noch einmal hatte Tanya ein schwaches Echo ihres Wunsches zu fliehen verspürt. Doch dieses Gefühl des Verlangens – es hatte alles übertönt.
Tanya starrt auf die Tür, die in den Himmel oder auch die Hölle führen kann. Was soll es, denkt sie sich, es gibt bestimmt schlimmere Wege zu sterben. Wenn sie denn stirbt. Irgendetwas in ihr sagt ihr, dass dies nicht geschehen wird. Nicht hier und nicht heute Nacht Und das ist ja auch schon mehr, als sie zu hoffen wagte. Wie sagte doch der Lizard King? Take it easy baby, take it as it comes.
Langsam öffnet sie den Gürtel ihres Morgenmantels, während sich ein seltsames Gefühl in ihr ausbreitet. Wenn du durch dieses Tor schreitest, wird Dein Leben nie wieder so sein wie zuvor. Du wirst nie wieder zurückkehren in die Welt der Menschen, wie du sie bisher kanntest. Tanya verharrt kurz, dann streift sie sich den Stoff von den Schultern, wirft ihn achtlos beiseite und betritt Lees Refugium.
Menschen / 5
Der Sex mit Lee war raketenmäßig. Tanya kann sich ein Grinsen nicht verkneifen, auch wenn sie sich ziemlich schlapp fühlt. Sie lacht lautlos. Kein Grund sich zu beschweren, denkt sie - so wie vor einer gefühlten Sekunde ist es ihr noch nie gekommen. Dann bemerkt sie, dass Lee nicht mehr da ist. Sie gleitet aus dem Bett, greift sich den Kimono und begibt sich auf die Suche nach ihr.
Lee steht auf der Terrasse und starrt in die Nacht, ihr den Rücken
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