Die Fährte des Nostradamus
deine Schritte bereits erkannt, als du die Kutsche verlassen hast.“
Auf alles gefasst, öffnete Chavigny die Tür und trat ins Zimmer.
Der Geruch war trotz der weit geöffneten Fenster allgegenwärtig. Überall im Zimmer hingen mit Lavendel benetzte Tücher. Im prunkvollen Kamin aus italienischem Marmor versuchten Räucherharze den penetranten Gestank zu vertreiben. Niemand vermochte sich auszumalen, wie schlimm der Kranke selbst sein Leid empfinden musste. Zeit seines Lebens war er ein Mann teurer Gewänder und duftender Essenzen gewesen. Chavigny fühlte, dass der Meister unter dem Verfall seines Körpers und dem penetranten Gestank seiner Ausdünstungen mehr litt als den schlimmen Schmerzen, die ihm die Krankheit bereitete.
Im Januar verschlechterte sich sein Zustand so sehr, dass das Personal angewiesen wurde, sämtliches Mobiliar aus dem Arbeitszimmer zu entfernen. Stattdessen wurde dort das große Gästebett hergerichtet. Seitdem hatte der Herr das Bett nicht wieder verlassen können. Der kostbare Teppich aus Persien, den der Meister von einer seiner Reisen mitbrachte, war neben dem Schreibtisch und einem Stuhl der einzige Farbtupfer im Zimmer, und Tummelplatz unzähliger Fliegen. Dort, wo einst prächtige Bilder das Zimmer zierten, zeichneten sich gelbliche Quadrate ab. Wie Augen aus der Welt nach dieser, schauten sie drohend von den kahlen Wänden. Das einstmals prunkvoll ausgestattete Zimmer war einem Ort gewichen, der wie das Vorzimmer der Verdammnis anmutete.
Der Anblick des Meisters selbst war nicht weniger erschütternd. Ein völlig kahler Schädel mit tief liegenden Augen hatte seine einst charismatische Ausstrahlung völlig zerstört. Sein Bart war längst nicht mehr vorhanden und gab den Blick auf den zahnlosen Mund frei, und der ehemals geheimnisvoll strahlende Blick wurde von einer milchigen Haut getrübt.
Trotz des warmen Sommers schien der Kranke zu frösteln, denn im Kamin brannte ein starkes Feuer.
„Nun berichte doch endlich, guter Ayme. Hast du das Grab so vorgefunden, wie ich es beschrieben habe?“, fragte der Kranke atemlos, von schwachen Husten unterbrochen.
„Alles war genau so, wie Ihr sagtet, Meister.“
„Und … und hast du alles so ausgeführt, wie ich …“
„Es ist alles so geschehen, wie Ihr mir habt aufgetragen“, beruhigte Chavigny den Kranken sanft.
„Niemand hat mich gesehen oder ist mir gefolgt. Aber in der Tat, jener Ort ist von einer Atmosphäre umgeben, wie ich sie an keinem anderen empfunden habe.“
Die Worte Chavignys beruhigten seinen Herrn und befreiten ihn von einer starken Last. Erleichtert ließ er sich in das Kissen sinken und nickte zufrieden.
„Dann ist alles Nötige getan“, flüsterte er erschöpft und schaute mit leeren Augen aus dem Fenster.
„Ayme… du warst mir stets ein treuer Freund und Begleiter“, begann er nach einer Weile des Schweigens. „Nachdem ich dich auf die Reise schickte, habe ich diese Zeilen verfasst. Es…, es ist mein letzter Wille.“
„Meister …“
„Schweig bitte, treuer Ayme. Niemand weiß besser über mein Vermögen Bescheid als du. Sei gewiss, für dich und deine Familie ist gesorgt. Auch Luise habe ich bedacht.“
Wieder wurde der Kranke vom kräftezehrenden Husten geschüttelt.
„Ayme. Nun geh bitte und lass mich ausruhen. Ich fühle mich sehr schwach.“
„ Wie Ihr wünscht Meister“, sagte der Sekretär und wandte sich zögernd um.
„Ayme“, hörte er im Gehen noch einmal die schwache Stimme seines Herrn.
„Ich wünsche dir und deiner Familie alles Gute. Adieu mein Freund, zum Sonnenaufgang werdet Ihr mich nicht mehr lebend sehen“.
„Aber Meister ich …“
„Geht jetzt, und sorge dafür, dass ich nicht mehr gestört werde.“
Mit schwerem Herzen verließ Chavigny den Kranken und gab an Familie und Personal die Bitte des Hausherrn weiter. Später, als Chavigny allein in seinem Zimmer saß, wurde er von einer Flut schöner Erinnerungen überwältigt. All die Dinge, die er zusammen mit seinem Meister erleben durfte, spielten sich in seinen Gedanken noch einmal ab. Er spürte, dass sein Leben ein anderes werden würde.
Als Luise am nächsten Morgen ihren Herrn aufsuchte, fand sie ihn reglos am Schreibtisch sitzend vor. Ein Ausdruck des Erstaunens lag auf seinem Gesicht, das aus dem geöffneten Fenster zugewandt war. Unbeantwortet hallte ihr Morgengruß von den leeren Zimmerwänden wider und hinterließ drückende Stille.
Michel Notredamme, jener Mann, der unter dem Namen
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