Die Fährte des Nostradamus
Eigentlich rauchte der Botschafter nicht, aber in Stresssituationen griff er gelegentlich zu, auch wenn er den Geschmack gar nicht mochte.
Sein Büro entsprach in keinster Weise dem Charakter des fünfundfünfzig jährigen Ex-Marine. Der dicke Teppich schluckte jedes Geräusch, und auf dem wuchtigen Schreibtisch aus der Kolonialzeit wirkten Telefon und Sprechanlage verloren. An den Wänden hingen riesige Gemälde, die historische Seeschlachten Lord Nelsons wiedergaben und von ihm kaum Beachtung fanden. Im dunklen Bücherschrank hinter Sheldons Schreibtisch verstaubten Meister von Poe bis Shakespare, und eine geräumige Sitzgruppe aus den 70ern lud zu zwangloseren Gesprächen ein. Sheldon war ein gradliniger Mann und seine Büros waren bisher zweckmäßig ausgestattet. Da er als Botschafter der USA repräsentative Funktion besaß, musste er hier in London, wohl oder übel, diese für seinen Geschmack viel zu pompöse Einrichtung in Kauf nehmen. Er hatte damals das Büro von seinem Vorgänger so übernommen, wie der es verlassen hatte.
„Ich habe alles Notwendige zur Ergreifung der Frau veranlasst. Wenn ihr Handy eingeschaltet ist, werden wir in kürzester Zeit ihren Aufenthaltsort kennen“, meinte Williams.
Sheldon hatte noch nie viel für unnötige Verzögerungen übrig und nahm sein eigenes Handy.
„Geben Sie mir die Nummer, ich werde Ms. Moreno selber anrufen. Und Williams… eines noch. Ms. Moreno ist keine gesuchte Terroristin. Sie soll nicht ergriffen, sondern lediglich gefunden werden.“ Ed Sheldon wirkte angeschlagen. Die letzten Tage mussten er und seine Mitarbeiter besorgt die Geschehnisse um New Orleans im Fernsehen verfolgen. Niemand hier konnte sich erklären, warum die erforderlichen Hilfsmaßnahmen so schleppend ins Rollen kamen.
Er dachte an Kirsten Moreno. Ihre Worte liefen wie eine Endlosschleife in seinem Kopf, und bereiteten ihm Schmerzen. OK… völlig überzeugt, dass ein Seher, der vor über vierhundert Jahren gelebt hatte, eine Katastrophe im Jahre 2005 voraussehen konnte, war er noch nicht. Schließlich liefen auf allen Sendern Warnungen über schwere Unwetter an der Ostküste der USA. Es gab immer eine Reihe von Spinnern, die solche Meldungen für ihre eigene Publicity ausnutzten. Aber diese Ms. Moreno erzählte noch etwas von einem Staudamm, der in absehbarer Zeit einstürzen sollte. Woher konnte sie das wissen? Es gab nur zwei Möglichkeiten für den Botschafter. Entweder, ein terroristischer Anschlag steckte dahinter, wobei Kirsten Morenos Rolle darin sehr interessant sein dürfte, oder… Was, wenn dieser Seher tatsächlich solche Fähigkeiten besaß und bedeutende Hinweise hinterlassen hatte?
Sollte sich diese Voraussage auch bewahrheiten, würde einiges an Sheldons Weltbild ins Wanken kommen. So oder so, Kirsten Moreno musste her. Es kam nicht oft vor, dass Ed Sheldon mit seinem Latein am Ende war. Die gegenwärtige Situation jedoch drohte ihn zu überfordern.
„Nicht mehr nötig, Sir“, kam es aus Richtung der offen stehenden Bürotür. „FBI Agenten Baxley und Darr, Sir“, erklärte der Redner, ein Hühnergesicht, wie Sheldon solche Typen gern bezeichnete. Wir haben bereits ohne Erfolg versucht, die gesuchte Person über ihr Handy zu erreichen. Nach Auskunft ihrer Vorgesetzten hat die gesuchte Person heute morgen England verlassen und ist auf dem Weg nach Deutschland. Sie will dort ein paar Tage bei ihren Eltern verbringen. Wir haben die Eltern bereits kontaktiert. Sie haben sich bereit erklärt, Ms. Moreno auszurichten, mit unserer Vertretung in Berlin, oder direkt mit uns in Kontakt zu treten, Sir.“
Sheldon musterte die beiden Agenten, die gerade das Büro betraten. Während Baxley ein drahtiger Typ mittleren Alters war und mit dunklem Anzug und ebenso dunkler Sonnenbrille ziemlich genau in das Bild eines Agenten des FBI passte, war Darr das krasse Gegenteil.
Er schien eher ein Denker zu sein. Seine schlaksige Figur steckte in einem mindestens zwei Nummern zu großem Anzug. Obwohl er sicher keine vierzig Jahre alt war, zog eine ausgeprägte Stirnglatze seinen Kopf in die Länge. Seine eingefallen Wangen und die rötlich umrandeten Augen ließen auf eine schlechte Konstitution schließen, und der unstete Blick seiner kleinen Augen machte Sheldon nervös. Wie zur Bestätigung griff Darr in seine Jackentasche und holte ein Fläschchen Augentropfen hervor, die er sofort benutzte.
„Heuschnupfen, Sir.“
Sheldon war überrascht und beugte sich zu
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