Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Fährte

Die Fährte

Titel: Die Fährte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
Vom Netzwerk:
versorgt wurde. Die leuchtenden Zitronen vor Alis Laden verblassten langsam. Etwas Schwarzes, Flaches, Nasses und Schweres näherte sich und explodierte in seinem Gesicht. Dann schmeckte er den Asphalt der Straße, ehe er weit entfernt Arne Albus Stimme hörte: »Aus!«
    Er spürte, dass sich der Druck an seinem Nacken lockerte. Doch Harrys Position auf der Erde drehte sich immer mehr von der Sonne weg, und es war vollständig dunkel, als er eine Stimme über sich sagen hörte: »Sind Sie am Leben? Hören Sie mich?«
    Dann klickte dicht neben seinem Ohr Stahl. Waffenteile. Ein Ladegriff.
    »Ver… Verf…« Er hörte ein leises Stöhnen und den klatschenden Laut von Erbrochenem, das auf die Straße klatschte. Dann wieder das metallische Klicken. Das Entsichern … in wenigen Sekunden würde es vorüber sein. So fühlte sich das also an. Keine Verzweiflung – keine Furcht – nicht einmal Vorwürfe. Bloß Erleichterung. Er ließ nicht viel zurück. Albu ließ sich Zeit. So viel Zeit, dass Harry doch noch etwas in den Sinn kam. Es gab etwas, das er zurückließ. Er füllte seine Lungen mit Luft. Das Netz der Äderchen sog den Sauerstoff ein und verfrachtete ihn stoßweise in Richtung Hirn.
    »So, jetzt …«, begann die Stimme, verstummte aber abrupt, als Harrys geballte Faust den Kehlkopf traf.
    Harry kam auf die Knie. Doch weiter aufrichten konnte er sich nicht. Er versuchte bei Bewusstsein zu bleiben, während er auf den abschließenden Angriff wartete. Eine Sekunde verging. Zwei. Drei. Der Geruch von Erbrochenem brannte in seiner Nase. Die Straßenlaternen über ihm kamen langsam in seinen Fokus. Die Straße war leer. Vollkommen leer. Abgesehen von einem Mann, der röchelnd neben ihm lag. Er trug eine blaue Daunenjacke über etwas, das am Kragen herausragte und wie ein Pyjamaoberteil aussah. Das Licht der Laternen blinkte auf dem Metall. Das war keine Pistole, sondern ein Feuerzeug. Und erst jetzt erkannte Harry, dass der Mann nicht Arne Albu war. Es war Trond Grette.
    Harry stellte die Tasse mit dem kochend heißen Tee vor Trond auf den Tisch, der noch immer japsend, mit rasselndem Atem und panisch aufgerissenen, schier aus dem Kopf quellenden Augen auf dem Stuhl hockte. Ihm selbst war schwindelig und übel, und die Schmerzen in seinem Nacken pochten wie eine Brandwunde.
    »Trinken Sie«, sagte Harry. »Da ist viel Zitrone drin, das betäubt die Muskulatur, sodass sie sich entspannt und Sie leichter atmen können.«
    Trond gehorchte. Und zu Harrys großer Verwunderung schien es auch zu wirken. Nach ein paar Schlucken und einigen weiteren Hustenattacken bekamen Tronds blasse Wangen eine Spur von Farbe.
    »Ssehn schlmms«, wisperte er.
    »Wie bitte?« Harry ließ sich auf den anderen der beiden Küchenstühle sinken.
    »Sie sehen schlimm aus.«
    Harry lächelte und betastete das Handtuch, das er sich um den Nacken gelegt hatte. Es war bereits vom Blut durchtränkt. »Haben Sie sich deshalb erbrochen?«
    »Ich kann kein Blut sehen«, sagte Trond. »Davon wird mir ganz …« Er verdrehte die Augen.
    »O.K., es hätte schlimmer kommen können. Sie haben mir das Leben gerettet.«
    Trond schüttelte den Kopf. »Ich war noch ein gutes Stück entfernt, als ich Sie beide bemerkte, ich hab bloß gerufen. Ich bin nicht sicher, ob er wirklich deshalb seinen Köter zurückgerufen hat. Tut mir Leid, dass ich die Autonummer nicht hab, aber der Wagen, mit dem sie abgehauen sind, war ganz sicher ein Jeep Cherokee.«
    Harry winkte ab. »Ich weiß, wer das war.«
    »Ja, wirklich?«
    »Ein Typ, den ich unter Verdacht habe. Aber erzählen Sie mir lieber, was Sie hier machen, Grette?«
    Trond drehte die Tasse in seinen Fingern. »Mit dieser Verletzung sollten Sie jetzt wirklich in die Ambulanz.«
    »Ich denke darüber nach. Sie haben sich sicher ein paar Gedanken gemacht seit unserer letzten Begegnung.«
    Trond nickte langsam.
    »Und zu welchem Schluss sind Sie gekommen?«
    »Dass ich ihm nicht mehr helfen kann.«
    Harry konnte nicht recht beurteilen, ob es der wunde Kehlkopf war, der Trond diesen letzten Satz flüstern ließ. »Also, wo ist Ihr Bruder?«
    »Ich will, dass Sie ihm sagen, dass ich es Ihnen gesagt habe. Er wird es verstehen.«
    »Ja, dann.«
    »Porto Seguro.«
    »Ach ja.«
    »Das ist eine Stadt in Brasilien.«
    Harry rümpfte die Nase. »Gut. Wie finden wir ihn da?«
    »Er hat mir nur erzählt, dass er dort ein Haus hat. Die Adresse wollte er mir nicht geben, bloß die Handynummer.«
    »Warum nicht? Er wird nicht

Weitere Kostenlose Bücher