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Die Fährte

Die Fährte

Titel: Die Fährte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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Amphetamine. Rohypnol vielleicht. Das wird am liebsten genommen.«
    »Warum?«
    »Ein Bankraub ist ein extremes Erlebnis. Da braucht man kein Speed, eher im Gegenteil. Letztes Jahr ist einer mit einer automatischen Waffe in eine DnB-Filiale am Solli-Platz gekommen, hat wild um sich geballert und ist dann ohne Geld wieder gegangen. Zum Richter sagte er später, er hätte so viel Amphetamin genommen, dass er es einfach irgendwie rauslassen musste. Ich mag Bankräuber mit Rohypnol lieber, um es mal so auszudrücken.«
    Harry nickte in Richtung Leinwand: »Achte auf die Schulter von Stine Grette an Schalter eins. Jetzt löst sie den Alarm aus. Und der Ton der Aufnahme wird plötzlich viel besser. Wie kommt das?«
    »Der Alarm ist mit der Aufnahme gekoppelt. Wenn er ausgelöst wird, läuft der Film deutlich schneller, was uns bessere Bilder und einen klareren Ton gibt. Gut genug, um Stimmanalysen des Täters zu erstellen. Und dann hilft es dem Täter auch nichts, wenn er Englisch spricht.«
    »Ist das wirklich so treffsicher, wie ihr behauptet?«
    »Die Laute unserer Stimmbänder sind wie Fingerabdrücke. Wenn die Stimmanalytiker am NTNU in Trondheim zehn Worte auf einem Band bekommen, können sie zwei Stimmen mit fünfundneunzigprozentiger Sicherheit zuordnen.«
    »Mm, aber nicht mit der Tonqualität, bevor der Alarm ausgelöst wird?«
    »Dann ist es deutlich unsicherer.«
    »Deshalb ruft er also zuerst etwas auf Englisch und nutzt dann, wenn er damit rechnet, dass der Alarm ausgelöst worden ist, Stine Grette als Sprachrohr.«
    »Genau.«
    Schweigend studierten sie, wie sich der schwarz gekleidete Bankräuber über den Tisch schwang, den Gewehrlauf an Stine Grettes Kopf drückte und ihr etwas ins Ohr flüsterte.
    »Was hältst du von ihrer Reaktion?«, fragte Harry.
    »Wie meinst du das?«
    »Ihren Gesichtsausdruck. Sie scheint ziemlich ruhig zu sein, findest du nicht auch?«
    »Ich finde gar nichts. Gesichtsausdrücke geben in der Regel nicht viele Informationen preis. Ich tippe, dass ihr Puls bei 180 liegt.«
    Sie blickten auf Helge Klementsen, der auf den Knien vor dem Geldautomat herumrutschte.
    »Ich hoffe bloß, dass der da eine gute Betreuung bekommt«, sagte Beate leise und schüttelte den Kopf. »Ich habe gesehen, wie Menschen nach solchen Überfällen zu psychischen Invaliden wurden.«
    Harry sagte nichts, dachte aber, dass sie diese Aussage von irgendeinem älteren Kollegen aufgeschnappt haben musste.
    Der Bankräuber drehte sich um und zeigte ihnen sechs Finger.
    »Interessant«, murmelte Beate und notierte etwas auf dem Block vor sich, ohne auf das Papier zu blicken. Harry beobachtete die junge Polizistin aus den Augenwinkeln und sah, wie sie auf ihrem Stuhl zusammenzuckte, als der Schuss knallte. Während der Räuber auf der Leinwand über den Tisch sprang, sich den Sack schnappte und auf dem Weg zur Tür war, glitt Beates kleines Kinn nach oben und der Stift aus ihrer Hand.
    »Das Letzte haben wir nicht ins Internet gestellt oder an die Fernsehsender weitergegeben«, sagte Harry. »Guck, jetzt ist er im Blickfeld der Außenkamera.«
    Sie sahen, wie der Räuber an der grünen Ampel über den Bogstadvei hastete und dann rasch über die Industrigata verschwand.
    »Und die Polizei?«, fragte Beate.
    »Die nächste Polizeistation liegt im Sørkedalsvei direkt hinter der Mautstation, nur achthundert Meter von der Bank entfernt. Trotzdem dauerte es ab der Auslösung des Alarms mehr als drei Minuten, bis sie an der Bank waren. Damit hatte der Räuber also knapp zwei Minuten, um zu verschwinden.«
    Beate sah nachdenklich auf die Leinwand, wo sich Autos und Menschen vorbeibewegten, als wäre nichts geschehen.
    »Die Flucht war ebenso gut geplant wie der Überfall. Das Fluchtauto stand vermutlich direkt hinter der Kurve, so dass es nicht im Blickfeld der Außenkamera war. Er hatte Glück.«
    »Vielleicht«, sagte Harry. »Auf der anderen Seite hast du aber auch nicht den Eindruck, dass das einer ist, der sich auf sein Glück verlässt, oder?«
    Beate zuckte mit den Schultern. »Die meisten Banküberfälle sehen durchdacht aus, wenn sie gelingen.«
    »Okay, aber hier waren die Chancen, dass die Polizei spät kommt, ziemlich groß. Denn am Freitag zu diesem Zeitpunkt waren alle Streifen der Gegend mit einer anderen Sache beschäftigt, nämlich …«
    »… mit der Wohnung des amerikanischen Botschafters!«, entfuhr es Beate. Sie schlug sich mit der Hand gegen die Stirn. »Der anonyme Anruf wegen der Autobombe. Ich

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