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Die Fährte

Die Fährte

Titel: Die Fährte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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überrascht drein, Herr Hauptkommissar. Sie waren es doch, der uns die ganze Geschichte aufgetischt hat über diese … diese …« Sie gestikulierte, als suche sie nach einem anderen Wort, resignierte dann aber mit einem schiefen Grinsen, als gebe es nur diesen einen Ausdruck dafür: »Hure.«
    »Darf ich hereinkommen, Frau Albu?«
    Sie zog die Schultern hoch und schüttelte sie, als schaudere sie etwas. »Nennen Sie mich Vigdis, oder sonst irgendwie, aber nicht so.«
    »Vigdis«, Harry nickte kurz. »Darf ich hereinkommen?«
    Die schmalen gezupften Augenbrauen bekamen Winkel. Sie zögerte. Dann breitete sie den Arm aus. »Warum nicht?«
    Harry meinte, einen schwachen Gingeruch wahrzunehmen, doch das konnte auch ihr Parfüm sein. Nichts im Hause deutete darauf hin, dass irgendetwas nicht stimmte – es war aufgeräumt, es duftete gut und sauber, und auf dem Barschrank standen frische Blumen. Harry bemerkte, dass der cremefarbene Sofabezug, auf dem er zuletzt gesessen hatte, seitdem ein wenig weißer geworden war. Leise, klassische Musik strömte aus den Lautsprechern, die er nicht sehen konnte.
    »Mahler?«, fragte er.
    »Greatest Hits«, erwiderte Vigdis, »Arne kaufte bloß Sammelalben. Alles außer dem Besten sei uninteressant, sagte er immer.«
    »Nett von ihm, dass er dann nicht alle Sammelalben mitgenommen hat. Wo ist er eigentlich?«
    »Erstens gehört nichts, was Sie hier sehen, ihm. Und wo er ist, weiß ich nicht, und ich will es auch nicht wissen. Haben Sie eine Zigarette, Herr Hauptkommissar?«
    Harry reichte ihr das Päckchen und beobachtete sie, wie sie mit dem großen Tischfeuerzeug aus Teakholz und Silber herumfingerte. Dann beugte er sich mit seinem Einwegfeuerzeug über den Tisch.
    »Danke, er ist im Ausland, nehme ich an. Irgendwo, wo es warm ist. Doch wohl nicht so heiß, wie ich es ihm wünschen würde.«
    »Hm. Wie meinen Sie das, dass ihm nichts hier im Haus gehört?«
    »Genau so, wie ich es sage. Das Haus, das Inventar, das Auto – das gehört alles mir.« Sie stieß den Rauch hart aus. »Fragen Sie nur meinen Anwalt.«
    »Ich dachte eigentlich, es sei Ihr Mann, der das Geld hat, um …«
    »Nennen Sie ihn nie wieder so!« Vigdis Albu sah aus, als wolle sie den gesamten Tabak aus der Zigarette saugen. »Doch, doch, Arne hatte Geld. Er hatte Geld genug, um dieses Haus zu kaufen, diese Möbel, die Autos, die Kleider, die Hütte und all den Schmuck, den er mir bloß geschenkt hat, damit ich ihn unseren so genannten Freunden zeigen konnte. Das Einzige, was für Arne etwas bedeutete, war nämlich, was die anderen dachten. Seine Verwandten, meine Verwandten, die Kollegen, Nachbarn, Studienkameraden.« Die Wut gab ihrer Stimme einen harten, metallischen Klang, als spreche sie in ein Megaphon. »Das alles waren nur die Zuschauer in Arne Albus prächtigem Leben, sie sollten applaudieren, wenn es gut lief. Wenn Arne genauso viel Energie in unsere Firma gesteckt hätte, wäre die Albu AS sicher nicht so in den Keller gegangen.«
    »Hm, wenn man der Fachpresse glaubt, war Albu AS ein Erfolgsunternehmen.«
    »Albu war ein Familienunternehmen, keine börsennotierte Gesellschaft, die ihre Rechenschaftsberichte öffentlich auflegen muss. Arne schaffte es, die Sache so aussehen zu lassen, als hätten wir den Betrieb mit Gewinn verkauft.« Sie drückte die erst halb gerauchte Zigarette im Aschenbecher aus. »Vor ein paar Jahren geriet die Firma in akute Liquiditätsprobleme, und da Arne persönlich für alle Schulden haftete, überschrieb er mir und den Kindern das Haus und alle Besitztümer.«
    »Hm, aber die, die die Firma gekauft haben, haben doch gut bezahlt. Dreißig Millionen stand in der Zeitung.«
    Vigdis lachte bitter. »Sie haben ihm also die Geschichte von dem erfolgreichen Geschäftsmann abgekauft, der kürzer treten wollte, um sich mehr um die Familie zu kümmern? Was das angeht, ist Arne gut, das muss man ihm lassen. Lassen Sie es mich so ausdrücken: Arne hatte die Wahl, die Firma freiwillig abzugeben oder Konkurs anzumelden. Er entschied sich natürlich für die erste Variante.«
    »Und die dreißig Millionen?«
    »Arne ist ein charmanter Teufel, wenn er will. Die Menschen schenken ihm gerne Glauben, wenn er diese Rolle spielt. Deshalb kann er auch gut verhandeln, besonders wenn er unter Druck ist. Deshalb haben die Banken und Lieferanten die Firma so lange am Leben gehalten. Die Verträge mit den Lieferanten, die die Firma übernommen haben, hätten eigentlich ein Eingeständnis seines

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