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Die Fährte

Die Fährte

Titel: Die Fährte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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hat. Danach sind sie gegangen.«
    »Sie haben mir gesagt, Sie hätten nicht mit ihm gesprochen.«
    »Das habe ich doch auch nicht. Er hat mir nur mitgeteilt, dass er Gregor mitgenommen hat. Und das stimmte auch, ich habe ihn im Hintergrund bellen hören.«
    »Von wo aus hat er angerufen?«
    »Woher soll ich das denn wissen?«
    »Ihr Besuch hat das jedenfalls verstanden. Können Sie mir die Aufnahme vorspielen?«
    »Aber er sagt doch nur …«
    »Bitte, tun Sie, was ich sage. Es geht um …« Harry versuchte einen anderen Ausdruck zu finden, gab aber schließlich auf. »… Leben und Tod.«
     
    Harry wusste nicht viel über Verkehr. Er wusste nicht, dass die Berechnungen ergeben hatten, dass der Bau zweier Tunnel bei Vinterbro und die Verlängerung der Autobahn die Staus auf der E6 südlich von Oslo beseitigt hätte. Er wusste nicht, dass das entscheidende Argument für diese Milliardeninvestition nicht die Stimmen der Wähler waren, die von Moss oder Drøbak nach Oslo pendelten, sondern die Verkehrssicherheit, und dass in der Formel, die die Verkehrsexperten nutzen, um die Wirtschaftlichkeit zu berechnen, der Wert eines Menschen mit 20,4 Millionen Kronen angesetzt war, einschließlich Rettungswagen, Verkehrsumleitung und möglicher zukünftiger Steuerausfälle. Denn als Harry sich mühsam in Øysteins altem Mercedes im Stau auf der E6 nach Süden schob, wusste er nicht einmal selbst, welchen Wert für ihn das Leben von Arne Albu hatte. Auf jeden Fall wusste er nicht, was er gewinnen konnte, wenn er sein Leben rettete. Er wusste nur, dass er das, was er aufs Spiel setzte, nicht verlieren durfte. Auf keinen Fall. Weshalb es vielleicht am besten war, nicht zu viel nachzudenken.
    Die Aufnahme, die Vigdis Albu ihm am Telefon vorgespielt hatte, war nur fünf Sekunden lang gewesen und hatte bloß eine einzige wertvolle Information beinhaltet. Aber die reichte. Sie hatte nichts mit den neun kurzen Worten von Arne Albu zu tun, ehe er auflegte: »Ich habe Gregor mitgenommen. Nur dass du das weißt.«
    Es war auch nicht Gregors frenetisches Bellen im Hintergrund.
    Es waren die kalten Schreie. Die Schreie der Möwen.
    Es war dunkel geworden, als das Schild auftauchte, auf dem die Ausfahrt Larkollen angekündigt wurde.
     
    Vor der Hütte stand ein Jeep Cherokee, doch Harry fuhr weiter bis zum Wendeplatz. Auch dort kein blauer BMW. Er parkte gleich unterhalb der Hütte.
    Es hatte keinen Sinn, sich an die Hütte heranzuschleichen, denn er hatte das Hundegebell bereits gehört, als er etwas weiter entfernt die Scheibe des Seitenfensters heruntergekurbelt hatte.
    Harry war sich im Klaren darüber, dass er eine Waffe hätte mitnehmen sollen. Nicht weil es einen Grund gab, anzunehmen, dass Arne Albu bewaffnet war, er konnte ja nicht wissen, dass jemand seinen Tod wünschte. Doch sie waren längst nicht mehr die einzigen Akteure in diesem Spiel.
    Harry stieg aus dem Wagen. Er sah und hörte nichts von Möwen, aber vielleicht machten die sich ja nur im Hellen bemerkbar, dachte er.
    Gregor war am Treppengeländer vor der Hütte festgebunden. Seine Zähne glänzten im Mondlicht und jagten Harry kalte Schauer über seinen noch immer wunden Nacken. Doch er zwang sich, weiter mit ruhigen, langsamen Schritten auf den sich wild gebärdenden Hund zuzugehen.
    »Erinnerst du dich an mich?«, flüsterte Harry, als er so nah war, dass er den grauen Atem des Tieres spürte. Gregors straff gespannte Kette zitterte. Harry hockte sich hin und zu seiner Überraschung wurde das Bellen leiser. Das raspelnde Geräusch deutete darauf hin, dass der Hund schon eine ganze Weile gebellt hatte. Gregor schob die Vorderläufe vor, senkte den Kopf und hörte ganz zu bellen auf. Harry berührte die Tür. Sie war verschlossen. Er lauschte. Hörte er dort drinnen jemanden sprechen? Im Wohnzimmer war Licht.
    »Arne Albu?«
    Keine Antwort.
    Harry wartete und versuchte es noch einmal.
    Der Schlüssel lag nicht in der Lampe. Deshalb suchte er einen passenden Stein, kletterte über das Geländer der Veranda, warf eine der kleinen Scheiben der Verandatür ein, schob die Hand hinein und öffnete die Tür.
    In der Stube deutete nichts auf einen Kampf hin. Nur auf eine hastige Abreise. Ein Buch lag aufgeschlagen auf dem Tisch. Harry nahm es in die Hand. Shakespeares Macbeth. Eine Zeile des Textes war mit einem blauen Stift umkreist worden. »Ich habe keine Worte, meine Stimme ist nur im Schwert.« Er sah sich um, konnte aber keinen Stift sehen.
    Nur das Bett im kleinsten

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