Die Fährte
sich keine Sorgen um die Nachbarn machen müsse, wie er sich ausgedrückt hatte. Ohne dass sie das überhaupt erwähnt hatte.
Sie blieb in der Halle sitzen und wartete. Hole war hoffentlich in der Badewanne eingeschlafen. Sie sah erneut auf die Uhr. Lauschte der Musik. Die anstrengenden Police-Songs waren jetzt endlich vorbei und stattdessen sang Sting die Lieder von seinem Soloalbum mit seiner angenehm beruhigenden Stimme. Über den Regen, der wieder und wieder fallen wird wie die Tränen der Sterne. Das war so schön, dass sie fast weinen musste.
Dann hörte sie Gregors wütendes Bellen. Endlich.
Sie öffnete die Tür und trat wie abgesprochen auf die Treppe. Sie sah eine Gestalt durch den Garten zur Terrasse rennen und eine weitere hinter dem Haus verschwinden. Zwei maskierte Männer in schwarzen Uniformen und mit kleinen, kurzen Gewehren blieben vor ihr stehen.
»Noch immer im Bad?«, flüsterte der eine durch seine schwarze Maske. »Nach der Treppe links?«
»Ja, Tom«, flüsterte sie. »Und danke, dass ihr so …«
Doch sie waren bereits auf dem Weg hinein.
Sie schloss die Augen und lauschte. Die laufenden Schritte auf der Treppe, Gregors verzweifeltes Wuff-Wuff von der Terrasse, Stings zerbrechliches How fragile we are, und der plötzliche Lärm, als die Badezimmertür aufgetreten wurde.
Sie drehte sich um und ging hinein. Die Treppe hinauf. Den Rufen entgegen. Sie brauchte einen Drink. Sie sah Tom oben auf der Treppe stehen. Er hatte die Sturmhaube abgenommen, doch sein Gesicht war derart verzerrt, dass sie ihn fast nicht wiedererkannte. Er zeigte auf etwas. Auf den Teppich. Sie blickte zu Boden. Es war eine Blutspur. Ihr Blick folgte der Spur quer durch das Wohnzimmer bis zu der geöffneten Terrassentür. Sie hörte nicht, was ihr der schwarz gekleidete Idiot hinterherschrie. Der Plan, das war alles, woran sie denken konnte. Der Plan hatte doch ganz anders ausgesehen.
Kapitel 36 – Waltzing Mathilda
Harry rannte. Gregors Stakkatobellen tickte im Hintergrund wie ein wütendes Metronom, doch ansonsten war es vollkommen still um ihn herum. Die nackten Fußsohlen patschten im nassen Gras. Er streckte seine Arme nach vorne, während er durch die nächste Hecke brach, und spürte kaum, wie die Dornen die Handflächen und die Bjørn-Borg-Kollektion aufrissen. Seine eigenen Kleider und Schuhe hatte er nicht finden können, vermutlich hatte sie sie mit nach unten genommen, wo sie saß. Bei der Suche nach einem anderen Paar Schuhe hatte Gregor zu bellen begonnen, so dass er fliehen musste, wie er war, in Hose und Hemd. Der Regen rann ihm in die Augen, und die Häuser, Apfelbäume und Büsche verschwammen. Ein weiterer Garten tauchte aus dem Dunkel auf. Er wagte es, über den niedrigen Zaun zu springen, verlor aber das Gleichgewicht. Promillerennen. Ein gepflegter Rasen schlug ihm ins Gesicht. Er blieb liegen und lauschte.
Jetzt glaubte er, aus verschiedenen Richtungen Hundegebell zu hören. War Victor gekommen? So schnell? Waaler musste ihn um Bereitschaft gebeten haben. Harry erhob sich und sah sich um. Er hatte die Anhöhe erreicht, auf die er zugelaufen war.
Bewusst war er den beleuchteten Wegen ausgewichen, auf denen er von Menschen gesehen werden konnte und wo schon bald die Polizeiwagen patrouillieren würden. Unten am Bjørnetråkk konnte er Albus Anwesen sehen. Vier Autos waren vor dem Eingang geparkt, zwei davon mit laufendem Blaulicht. Er sah zur anderen Seite der Anhöhe hinab. War das Holmen, oder Gressbanen? Irgend so etwas. Ein Privatwagen stand unten an der Kreuzung mit leuchtendem Parklicht. Er hatte auf einem Fußgängerüberweg geparkt. Harry war schnell gewesen, aber Waaler noch rascher. Nur Polizisten parkten so.
Er rieb sich kräftig das Gesicht. Versuchte die Betäubung zu verjagen, nach der er sich noch vor kurzem so gesehnt hatte. Auch zwischen den Bäumen am Stasjonsvei blinkte ein Blaulicht. Er saß im Netz, das sich bereits zusammenzuziehen begann. Er würde nicht entkommen können. Waaler war zu gut. Aber er verstand es nicht ganz. Das konnte nicht bloß ein Alleingang von Waaler sein, jemand musste seine Genehmigung gegeben haben, so viele Kräfte einzusetzen, um einen einzelnen Mann festzunehmen. Was war geschehen? Hatte Beate die Mail nicht bekommen, die er geschickt hatte?
Er lauschte. Es waren definitiv mehrere Hunde. Er sah sich um. In Richtung der erleuchteten Villen, die in der nächtlichen Dunkelheit am Hang lagen. Er dachte an die Wärme und die
Weitere Kostenlose Bücher