Die Fährte
er ist?«
Waaler und der andere Polizist wechselten Blicke. »Harry will uns anscheinend nichts erklären. Der Vogel war bereits wieder ausgeflogen, als wir hierher kamen.«
»Ach? Ich hatte den Eindruck, dass ihr die ganze Gegend eingekesselt hättet.«
»Das hatten wir auch«, sagte Waaler.
»Und wie ist er euch dann entkommen?«
»Damit.« Waaler deutete auf den Apparat auf dem Telefontischchen. Am Hörer war etwas, was nach Blut aussah.
»Er ist durch ein Telefon entkommen?« Møller verspürte einen – in Anbetracht seiner schlechten Laune und des Ernstes der Situation – irrationalen Drang zu grinsen.
»Es gibt Grund zur Annahme«, sagte Waaler, während Møller sah, wie die kräftige David-Hasselhoff-Kiefermuskulatur Schwerstarbeit leistete, »dass er sich ein Taxi gerufen hat.«
Øystein fuhr langsam die Allee hinauf und lenkte das Taxi auf den gepflasterten, halbrunden Platz vor dem Tor des Osloer Gefängnisses. Er parkte zwischen zwei Autos, so dass das Heck des Wagens zum leeren Park am Grønlandsleiret zeigte. Dann drehte er den Zündschlüssel halb herum, so dass der Motor ausging, die Scheibenwischer aber noch weiter ihre Arbeit verrichteten. Er wartete. Es war niemand zu sehen, weder auf dem Platz noch im Park. Er warf einen Blick zum Polizeipräsidium, ehe er den Hebel unter dem Lenkrad zog. Ein Klicken war zu hören und der Kofferraum öffnete sich.
»Wir sind da«, rief er und blickte in den Spiegel.
Das Auto bewegte sich, der Kofferraumdeckel ging ganz auf und fiel dann wieder zu. Dann öffnete sich die hintere Tür und ein Mann schlüpfte hinein. Øystein studierte den klitschnassen, schlotternden Passagier im Rückspiegel.
»Du siehst aber gut aus, Harry.«
»Danke.«
»Schicke Klamotten.«
»Nicht meine Größe, aber Bjørn Borg. Leih mir deine Schuhe.«
»Ha?«
»Ich habe bloß ein paar Filzpantoffeln im Flur gefunden, damit kann ich keinen Besuch im Gefängnis machen. Und deine Jacke.«
Øystein verdrehte die Augen und zog sich die kurze Lederjacke aus.
»Hattest du Schwierigkeiten, an den Sperren vorbeizukommen?«, fragte Harry.
»Nur auf dem Hinweg. Sie mussten überprüfen, ob Adresse und Namen von demjenigen stimmten, dem ich das Päckchen liefern sollte.«
»Den Namen habe ich an der Tür gefunden.«
»Auf dem Rückweg haben sie bloß ins Auto geguckt und mich durchgewunken. Dann, vielleicht nach einer halben Minute, wurde es auf einmal vollkommen hektisch im Polizeifunk. An alle Einheiten und so, hehe.«
»Ja, mir war so, als hätte ich dahinten was gehört. Du bist dir doch im Klaren, dass du keinen Polizeifunk abhören darfst, oder, Øystein?«
»Also, es ist nicht verboten, einen Funkempfänger zu haben, nur ihn zu benutzen. Und benutzen tu ich ihn fast nie.«
Harry band die Schnürsenkel zu und warf die Filzpantoffeln nach vorne zu Øystein. »Der Himmel wird dich belohnen. Wenn sie die Nummer des Taxis notiert haben und du Besuch bekommst, sag es einfach, wie es war. Dass dich jemand direkt über deine Handynummer gerufen hat und der Passagier darauf bestanden hat, im Kofferraum zu liegen.«
»Nicht wahr? Das ist doch keine Verarschung, oder?«
»Das ist das Wahrste, das ich seit langem gehört habe.«
Er holte tief Luft und drückte auf die Klingel. Im Moment gab es noch keine Gefahr, aber es war schwer zu sagen, wie schnell sich die Nachricht, dass er gesucht wurde, verbreitete. Immerhin gingen Polizisten hier im Gefängnis ein und aus.
»Ja?«, fragte die Stimme durch die Sprechanlage.
»Hauptkommissar Harry Hole«, sagte Harry besonders deutlich und sah direkt in die Kamera über der Tür, wobei er hoffte, möglichst klar zu wirken. »Zu Raskol Baxhet.«
»Ich habe Sie nicht auf der Liste.«
»Nicht?«, fragte Harry. »Ich habe Beate Lønn gebeten, meinen Besuch bei Ihnen anzukündigen. Heute Abend um neun. Fragen Sie Raskol.«
»Außerhalb der Besuchszeiten müssen Sie auf der Liste stehen, Hole. Rufen Sie morgen zu Bürozeiten wieder an.«
Harry trat von einem Fuß auf den anderen. »Wie heißen Sie?«
»Bøygset, aber, also, ich kann nicht …«
»Hören Sie, Bøygset. Es geht um eine wichtige Polizeiangelegenheit, und ich habe nicht vor, bis morgen auf die Bürozeiten zu warten. Sie haben doch heute Abend sicher ständig die Sirenen gehört, oder?«
»Ja, aber …«
»Also, wenn Sie morgen nicht den Zeitungen erklären wollen, wie Sie es geschafft haben, die Liste mit meinem Namen zu verschlampen, schlage ich Ihnen vor, vom
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