Die Fährte
Robotermodus auf denkender Mensch umzuschalten und auf den richtigen Knopf zu drücken. Das ist der direkt vor Ihrer Nase, Bøygset.«
Harry starrte in das tote Kameraauge. Einundzwanzig, zweiundzwanzig … Es summte im Schloss.
Raskol saß auf einem Stuhl in der Zelle, als Harry hereingelassen wurde.
»Danke, dass Sie die Besuchsanmeldung bestätigt haben«, sagte Harry und sah sich in der drei mal vier Meter kleinen Zelle um. Ein Bett, ein Tisch, zwei Schränke, ein paar Bücher.
Kein Radio, keine Magazine, keine persönlichen Gegenstände, nackte Wände.
»Es ist mir lieber so«, sagte Raskol als Antwort auf Harrys Gedanken. »Das schärft die Sinne.«
»Dann spüren Sie mal nach, wie sehr das, was ich jetzt sage, die Sinne schärft«, sagte Harry und setzte sich auf die Bettkante. »Es war nicht Arne Albu, der Anna getötet hat. Ihr habt den Falschen erwischt. Das Blut eines Unschuldigen klebt an euren Händen, Raskol.«
Harry war sich nicht sicher, er glaubte aber ein winziges Zucken in der freundlichen, doch gleichzeitig kalten Märtyrermaske des Zigeuners zu erkennen. Raskol senkte den Kopf und legte die Handflächen an die Schläfen.
»Ich habe eine E-Mail vom Mörder erhalten«, sagte Harry. »Es zeigte sich, dass er mich von Anfang an manipuliert hat.« Er fuhr mit der Hand über das karierte Bettzeug, während er den Inhalt der letzten Mail wiedergab. Gefolgt von einem Resümee der Geschehnisse des Tages.
Raskol saß reglos da und hörte Harry zu, bis dieser fertig war. Dann hob er den Kopf. »Das bedeutet, dass auch an Ihren Händen das Blut eines Unschuldigen klebt, Spiuni.«
Harry nickte.
»Und jetzt kommen Sie hierher, um mir zu erzählen, dass ich Blut über Sie gebracht habe und Ihnen etwas schulde.«
Harry antwortete nicht.
»Einverstanden«, sagte Raskol. »Also, sagen Sie's, was bin ich Ihnen schuldig?«
Harry hörte damit auf, die Decke zu streicheln. »Sie schulden mir drei Dinge. Erstens brauche ich einen Ort, an dem ich mich verstecken kann, bis ich dieser Sache wirklich auf den Grund gegangen bin.«
Raskol nickte.
»Zweitens brauche ich den Schlüssel zu Annas Wohnung, um ein paar Dinge zu überprüfen.«
»Den haben Sie zurückbekommen.«
»Nicht den Schlüssel mit den Initialen A.A., der liegt in einer Schublade in meiner Wohnung, und dort komme ich nicht hin. Und drittens …«
Harry hielt inne und Raskol sah ihn fragend an.
»Wenn ich von Rakel erfahre, dass sie jemand auch nur schief angesehen hat, werde ich mich stellen, alle Karten auf den Tisch legen und Sie als denjenigen entlarven, der den Mord an Arne Albu beauftragt hat.«
Raskol lächelte freundlich und überlegen. Als tue es ihm für Harry Leid, was beiden vollkommen bewusst war — dass nämlich niemand jemals eine Verbindung zwischen Raskol und dem Mord an Albu würde herstellen können. »Um Rakel und Oleg brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen, Spiuni. Meine Kontaktperson hat die Order erhalten, seine Handwerker zurückzurufen, nachdem wir mit Albu fertig waren. Eher sollten Sie sich Sorgen um den Ausgang des Verfahrens machen. Mein Kontakt meint, die Sache sehe nicht gerade gut aus. Die Familie des Kindsvaters scheint gewisse Kontakte zu haben, oder?«
Harry zuckte mit den Schultern.
Raskol zog die Schublade seines Schreibtisches heraus, nahm einen blanken Schlüssel heraus und reichte ihn Harry. »Gehen Sie direkt zur U-Bahn-Station Grønland. Am Ende der ersten Treppe sitzt eine Toilettenfrau hinter einer Scheibe. Sie bekommt fünf Kronen, um Sie hereinzulassen. Sagen Sie, dass Harry gekommen ist, gehen Sie in die Herrentoilette und schließen Sie sich in einem der Klos ein. Wenn Sie jemanden hören, der Waltzing Mathilda pfeift, heißt das, dass Ihr Transport bereit ist. Viel Glück, Spiuni.«
Der Regen hämmerte so hart auf den Boden, dass die Tropfen vom Asphalt nach oben zurückspritzten, und wenn man sich Zeit nahm, konnte man ganz unten am Ende der engen, nur in einer Richtung befahrbaren Sofies Gate kleine Regenbögen im Licht der Straßenlaternen erkennen. Aber Bjarne Møller hatte keine Zeit. Er stieg aus dem Auto, zog sich den Mantel über den Kopf und rannte über die Straße zu dem Hauseingang, in dem Ivarsson, Weber und ein weiterer Mann, der pakistanischer Abstammung zu sein schien, warteten.
Møller begrüßte sie per Handschlag und der Dunkelhäutige präsentierte sich als Ali Niazi, Harrys Nachbar.
»Waaler kommt, sobald er in Slemdal aufgeräumt hat«, sagte Møller.
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