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Die Fährte

Die Fährte

Titel: Die Fährte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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die am Tatort ermitteln. Und bitte ihn, analysieren zu lassen, was im Glas war.«
    »Harry …«, begann sie warnend.
    »Bitte?«
    Beate seufzte und nahm das eingewickelte Glas.
    »Läsesmeden AS«, sagte Harry.
    »Was?«
    »Solltest du dich anders entscheiden, was diese Namen angeht, kannst du da die Mitarbeiter überprüfen. Das ist eine kleine Firma.«
    Sie sah ihn resigniert an.
    Harry zuckte mit den Schultern. »Wenn du nur das mit dem Glas machst, bin ich schon mehr als happy.«
    »Und wie erreiche ich dich, wenn ich eine Antwort von Weber habe?«
    »Willst du das wirklich wissen?« Harry lächelte.
    »Ich will möglichst wenig wissen. Du nimmst dann Kontakt zu mir auf?«
    Harry schlug die Jacke enger um sich. »Gehen wir?«
    Beate nickte, blieb aber stehen. Harry sah sie fragend an.
    »Was er da geschrieben hat«, sagte sie, »dass nur die Rachelustigsten überleben. Glaubst du, das stimmt, Harry?«
     
    Harry streckte in dem kurzen Bett des Wohnwagens seine Beine aus. Das Rauschen der Autos auf der Finnmarkgata erinnerte Harry an seine Kindheit in Oppsal, wenn er bei geöffnetem Fenster auf dem Bett lag und dem Verkehr lauschte. Wenn sie bei Großvater in der sommerlichen Stille in Åndalsnes waren, hatte er sich immer nur nach einem zurückgesehnt: dem gleichmäßigen, einschläfernden Rauschen, das nur ab und zu von einem Motorrad, einem kaputten Auspuff oder einer entfernten Polizeisirene unterbrochen wurde.
    Es klopfte an der Tür. Es war Simon. »Tess will, dass du ihr auch morgen eine Gutenachtgeschichte erzählst«, sagte er und kam herein. Harry hatte erzählt, wie das Känguru zu springen gelernt hatte, und hatte zum Dank von allen Kindern einen Gutenachtkuss bekommen.
    Die zwei Männer rauchten schweigend. Harry deutete auf das Bild an der Wand. »Das sind Raskol und sein Bruder, nicht wahr? Stefan, Annas Vater?«
    Simon nickte.
    »Wo ist Stefan jetzt?«
    Simon zuckte uninteressiert mit den Schultern, und Harry begriff, dass das ein Un-Thema war.
    »Auf dem Bild scheinen die zwei gute Freunde zu sein«, sagte Harry.
    »Sie waren wie siamesische Zwillinge, weißt du. Freunde. Giorgi hat zweimal für Stefan im Gefängnis gesessen.« Simon lachte. »Ich sehe, du bist erstaunt, mein Freund. Das ist eine Tradition, verstehst du? Es ist eine Ehre, die Strafe für einen Bruder oder einen Vater zu übernehmen, weißt du.«
    »Die Polizei sieht das ein bisschen anders.«
    »Ihr habt keinen Unterschied gesehen zwischen Giorgi und Stefan. Zigeunerbrüder. Nicht gerade leicht für norwegische Polizisten.« Er grinste und bot Harry eine Zigarette an. »Insbesondere, wenn sie Masken tragen.«
    Harry zog an der Zigarette und entschloss sich, einen Schuss ins Blaue zu wagen. »Was ist zwischen sie gekommen?«
    »Was glaubst du?« Simon riss dramatisch die Augen auf. »Eine Frau natürlich.«
    »Anna?«
    Simon antwortete nicht, aber Harry wusste, dass er ins Schwarze getroffen hatte. »Weil Stefan nichts mehr mit ihr zu tun haben wollte, als sie einen gadzo kennen gelernt hatte?«
    Simon drückte die Zigarette aus und stand auf. »Es ging nicht um Anna, weißt du. Aber Anna hatte eine Mutter. Gute Nacht, Spiuni.«
    »Hm, eine Frage noch.«
    Simon blieb stehen.
    »Was bedeutet spiuni?«
    Simon lachte. »Das ist eine Abkürzung für spiuni gjerman – deutscher Spion. Aber beruhige dich, mein Freund, das ist nicht böse gemeint. An manchen Orten nennt man sogar Jungs so.«
    Dann schloss er die Tür und war verschwunden.
    Der Wind war abgeflaut und es war nur noch das Rauschen vom Finnmarksvei zu hören. Trotzdem konnte Harry nicht einschlafen.
     
    Beate lag da und lauschte den Autos draußen. Als sie klein war, war sie bei seiner Stimme eingeschlafen. Die Märchen, die er erzählte, standen in keinem Buch, sie entstanden beim Erzählen. Sie waren nie vollkommen gleich, obgleich sie manchmal einen ähnlichen Anfang hatten und die gleichen Personen auftauchten: zwei schlimme Diebe, ein lieber Papa und seine heldenmutige, kleine Tochter. Und sie endeten immer damit, dass die Diebe sicher hinter Schloss und Riegel saßen.
    Beate konnte sich nicht daran erinnern, ihren Vater je beim Lesen gesehen zu haben. Als sie größer wurde, hatte sie begriffen, dass ihr Vater an etwas litt, was man Dislexie nannte. Sonst wäre er Jurist geworden, hatte Mutter gesagt.
    »Was wir von dir hoffen.«
    Aber die Geschichten hatten nie von Juristen gehandelt, und als Beate erzählte, dass sie in der Polizeischule aufgenommen worden war,

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