Die Fährte
mit breiten Manschetten und eine Sonnenbrille. Sie setzten sich in den Mercedes und fuhren die Finnmarksgata hoch. Am Carl-Berners-Plass blieben sie an einer roten Ampel stehen. Simon ließ die Scheibe hinunter und rief einem Mann etwas zu, der rauchend vor einem Kiosk stand. Harry hatte das vage Gefühl, diesen Mann schon einmal gesehen zu haben, und wusste aus Erfahrung, dass dieses Gefühl oftmals bedeutete, dass der Betreffende eine entsprechende Akte hatte. Der Mann lachte und rief etwas zurück, das Harry nicht verstand.
»Ein Bekannter?«, fragte er.
»Ein Kontakt«, antwortete Simon.
»Ein Kontakt«, wiederholte Harry und sah zu dem Streifenwagen hinüber, der auf der anderen Seite der Kreuzung an der Ampel stand.
Simon fuhr nach Westen in Richtung Ullevål-Krankenhaus.
»Sag mal«, sagte Harry, »was für Kontakte hat Raskol eigentlich in Moskau, wenn die in dieser Zwanzig-Millionen-Stadt einen Menschen finden können …«, Harry schnippte mit den Fingern, »… als sei das gar nichts? Ist das die Russenmafia?«
Simon lachte. »Vielleicht. Wenn dir sonst niemand einfällt, der noch besser darin ist, Menschen aufzuspüren.«
»KGB?«
»Wenn ich mich recht erinnere, mein Freund, gibt es den nicht mehr.« Simon lachte lauter.
»Unser Russlandexperte im Sicherheitsdienst hat mir erzählt, dass es noch immer frühere KGBler sind, die da drüben die Strippen ziehen.«
Simon zuckte mit den Schultern. »Dienste, mein Freund. Und Gegenleistungen. Das ist alles.«
»Ich dachte, es ginge um Geld.«
»Genau davon spreche ich, mein Freund.«
Harry stieg in der Sorgenfrigata aus, während Simon weiterfuhr, um sich um ein paar »Geschäfte« in Sagene zu kümmern, wie er das nannte.
Harry suchte die Straße ab. Ein Lieferwagen fuhr vorbei. Er hatte Tess, das Mädchen mit den braunen Augen, das ihn geweckt hatte, dazu gebracht, ihm in Tøyen die aktuellen Ausgaben von Dagbladet und VG zu besorgen, doch in keiner der Zeitungen wurde nach ihm gefahndet. Das bedeutete nicht, dass er sich überall zeigen konnte, denn wenn er sich nicht allzu sehr irrte, hingen in jedem Streifenwagen Bilder von ihm.
Harry ging rasch zur Tür, steckte Raskols Schlüssel ins Schloss und drehte ihn herum. Er versuchte, die Stille im Treppenhaus nicht zu stören. Vor der Tür von Astrid Monsen lag eine Zeitung. Als er in Annas Wohnung war, schloss er die Tür vorsichtig hinter sich und hielt die Luft an.
Nicht an das denken, was du suchst.
Es roch abgestanden. Er ging ins Wohnzimmer. Nichts war verändert seit seinem letzten Besuch. Staub tanzte im Sonnenlicht, das durch die Fenster hereinfiel und die drei Porträts beleuchtete. Er blieb stehen und betrachtete sie. Die verdrehten Kopfformen kamen ihm seltsam bekannt vor. Er trat dicht an die Bilder heran und fuhr mit den Fingern über die Klumpen der Ölfarbe. Wenn sie zu ihm sprachen, verstand er ihre Worte nicht.
Dann ging er in die Küche.
Es roch nach Abfall und altem Fett. Er öffnete das Fenster, überprüfte das Geschirr und das Besteck auf der Ablage des Spülbeckens. Sie waren mit Wasser abgewaschen, aber nicht richtig gespült worden. Mit einer Gabel stocherte er an einem angetrockneten Essensrest herum. Ein kleines, rötliches Bröckchen trockener Sauce löste sich. Er steckte es in den Mund. Japone-Chili.
Hinter einer großen Kasserolle standen zwei große Weingläser. Das eine hatte einen deutlichen roten Satz, während das andere unbenutzt aussah. Harry steckte seine Nase hinein, roch aber nur warmes Glas. Neben den Weingläsern standen zwei gewöhnliche Wassergläser. Er suchte sich ein Geschirrtuch, mit dem er die Gläser ins Licht halten konnte, ohne selbst Abdrücke zu machen. Das eine war sauber, das andere hatte einen zähen Belag. Er kratzte mit dem Fingernagel etwas ab und leckte am Finger. Zucker. Mit Kaffeegeschmack. Cola? Harry schloss die Augen. Wein und Cola? Nein. Wasser und Wein für einen. Und Cola und ein unbenutztes Wasserglas für den anderen. Er wickelte das Glas in ein Handtuch und steckte es in die Tasche seiner Jacke. Einer Eingebung folgend ging er ins Bad, öffnete den Spülkasten der Toilette und tastete mit der Hand die Innenseite ab. Nichts.
Als er auf die Straße kam, zogen von Westen Wolken auf. Die Luft war etwas frischer. Harry biss sich auf die Unterlippe. Dann fasste er einen Entschluss und ging in Richtung Vibes Gate.
Harry erkannte den jungen Mann hinter dem Tresen des Schlüsseldienstes sofort wieder.
»Guten Tag, ich komme
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