Die Fährte
Schritte der Füße auf jeder fünften oder sechsten Stufe auf dem Weg nach unten hallten an den Wänden wider.
»Gunnerud!«
Harry bekam nur das Schlagen der Haustür unten als Antwort.
Er fasste an seine Innentasche, als ihm bewusst wurde, dass er keine Zigaretten mehr hatte. Dann stand er auf und schlenderte hinterher. Sollte sich doch die Kavallerie um ihn kümmern.
Tom Waaler stellte die Musik leiser, fischte das piepende Handy aus der Tasche, drückte die Yes-Taste und legte das Telefon an sein Ohr. Am anderen Ende hörte er raschen, zitternden Atem und Verkehrsgeräusche.
»Hallo?«, sagte die Stimme. »Bist du das?« Es war Knecht. Er hörte sich ängstlich an.
»Was ist los, Knecht?«
»Oh, gut, dass du da bist. Die Hölle ist los, du musst mir helfen. Schnell!«
»Ich muss gar nichts, beantworte meine Frage!«
»Sie sind uns auf die Schliche gekommen. Als ich nach Hause gekommen bin, wartete ein Bulle bei mir auf der Treppe.«
Waaler blieb vor einem Zebrastreifen vor dem Ringvei stehen. Ein alter Mann ging mit seltsam trippelnden Schritten über die Straße. Es dauerte unendlich lange.
»Was wollte er?«, fragte Waaler.
»Was glaubst du denn? Mich festnehmen.«
»Und warum bist du nicht festgenommen worden?«
»Ich war schnell wie der Teufel. Bin sofort abgehauen. Aber sie sind mir auf den Fersen, hier sind schon drei Streifenwagen vorbeigefahren. Hörst du? Die kriegen mich, wenn du nicht …«
»Schrei nicht so laut. Wo waren die anderen Polizisten?«
»Ich habe keine anderen gesehen, ich bin einfach nur gerannt.«
»Und konntest so leicht abhauen? Bist du sicher, dass der Kerl ein Polizist war?«
»Ja, das war doch dieser Typ!«
»Welcher Typ?«
»Na, Harry Hole. Der war neulich auch wieder im Laden.«
»Davon hast du mir nichts gesagt.«
»Das ist ein Schlüsseldienst. Bei uns sind ständig irgendwelche Bullen.«
Die Ampel wurde grün. Waaler hupte, um dem Wagen vor sich ein Zeichen zu geben. »O.K., da reden wir später drüber. Wo bist du jetzt?«
»In einer Telefonzelle vor dem, äh … Parlament.« Er lachte nervös. »Und ich fühl mich hier gar nicht wohl.«
»Gibt es etwas in deiner Wohnung, das dort nicht sein dürfte?«
»Nein, die ist sauber. Das ganze Material ist in der Hütte.«
»Und was ist mit dir? Bist du auch sauber?«
»Du weißt gut, dass ich clean bin. Kommst du jetzt oder nicht? Mann, ich zitter am ganzen Körper.«
»Immer mit der Ruhe, Knecht.« Waaler überschlug im Kopf, wie lange er brauchen würde. Tryvann. Präsidium. Zentrum. »Stell dir vor, das wäre ein Banküberfall. Du kriegst eine Pille von mir, wenn ich komme.«
»Ich hab doch gesagt, dass ich damit aufgehört habe.« Er zögerte. »Ich wusste nicht, dass du auch Pillen vertickst, Prinz.«
»Immer.«
Pause.
»Was hast du?«
» Mother's arms . Rohypnol. Hast du noch die Jericho-Knarre, die ich dir gegeben habe?«
»Klar, hab ich immer dabei.«
»Gut, dann hör mir genau zu. Wir treffen uns am Kai an der Ostseite des Containerhafens. Ich bin noch 'ne ganze Ecke weit weg, also gib mir vierzig Minuten.«
»Was redest du da! Du musst hierher kommen, verflucht, jetzt!«
Waaler lauschte dem an der Membran zischenden Atem ohne zu antworten.
»Wenn die mich schnappen, zieh ich dich mit rein, das ist dir doch klar, Prinz? Ich rede, wenn ich dann billiger davonkomme, ich bin nicht bereit, für dich zu brummen, wenn du nicht …«
»He, jetzt werd mal nicht panisch, Knecht. Panik können wir jetzt nicht gebrauchen. Welche Garantie habe ich, dass du nicht längst verhaftet bist, und dass das Ganze bloß eine Falle ist, um mich zu schnappen? Verstehst du jetzt? Du musst alleine unter irgendeiner Lampe stehen, damit ich dich deutlich sehe, wenn ich komme.«
Knecht stöhnte. »Scheiße! Scheiße!«
»Also, O.K.?«
»Ja doch, O.K. Aber bring diese Pillen mit. Scheiße!«
»Im Containerhafen. In vierzig Minuten. Unter einer Lampe.«
»Komm nicht zu spät!«
»Warte, noch etwas. Ich parke den Wagen etwas von dir entfernt, und wenn ich Bescheid sage, nimmst du die Waffe hoch, damit ich sie sehen kann.«
»Warum das denn? Bist du jetzt paranoid?«
»Sagen wir mal, die Situation ist gerade etwas unübersichtlich und ich möchte kein Risiko eingehen. Tu einfach, was ich dir sage.«
Waaler beendete das Gespräch und sah auf die Uhr. Dann drehte er die Musik bis zum Anschlag auf. Gitarren. Herrlich. Weißer Lärm. Herrlich. Weiße Wut.
Er fuhr zu einer Tankstelle.
Bjarne Møller trat
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