Die Fährte
Gunnerud versperrte. Andererseits gab es keinen Hinweis in Thommessens Bericht — oder am Tatort –, der den weiteren, in Waalers Bericht beschriebenen Tathergang in Zweifel stellte: dass nämlich Gunnerud zur Waffe gegriffen und diese trotz der Warnung auf Waaler gerichtet habe, doch dass Waaler ihm zuvorgekommen sei. Der Abstand zwischen den zweien habe da etwa drei bis vier Meter betragen.
Ich muss sterben. Aber das macht keinen Sinn. Ich starre in die rauchende Mündung einer Waffe. So war das doch nicht geplant, jedenfalls nicht von mir. Natürlich kann ich trotzdem die ganze Zeit über auf diesem Weg gewesen sein, ohne es zu wissen. Aber mein Plan war das nicht. Mein Plan war besser. Mein Plan hatte Sinn. Der Druck in der Kabine fällt ab und eine unsichtbare Kraft presst von innen gegen mein Trommelfell. Jemand beugt sich zu mir herüber und fragt mich, ob ich bereit wäre, wir würden landen.
Ich flüstere, dass ich gestohlen habe, gelogen, gedealt, herumgehurt und mich geprügelt. Aber getötet habe ich nie jemanden. Dass ich die Frau in Grensen verletzt habe, war ein unglücklicher Zufall. Die Sterne unter uns scheinen direkt durch den Flugzeugrumpf.
»Es ist eine Sünde …«, flüstere ich. »Gegen die, die ich geliebt habe. Kann auch sie vergeben werden?« Aber die Stewardess ist bereits gegangen und Landungslichter leuchten an allen Ecken und Enden auf.
Es war dieser Abend, an dem Anna zum ersten Mal »nein« und ich »doch« gesagt und die Tür aufgedrückt hatte. Es war der reinste Stoff, den ich jemals in die Finger bekommen hatte, und wir sollten uns dieses Mal nicht den Spaß verderben, indem wir das Zeug rauchten. Sie protestierte, aber ich sagte ihr, ich hätte es dabei, und bereitete die Spritze vor. Sie hatte noch nie eine Spritze in den Fingern gehabt und so setzte ich ihr den Schuss. Es ist schwieriger, das bei anderen zu machen. Nachdem ich zweimal die Vene verfehlt hatte, sah sie mich an und sagte langsam: »Ich war jetzt zwei Monate clean. Ich war gerettet.« »Willkommen zurück«, sagte ich bloß. Da lachte sie kurz und sagte: »Ich werde dich töten.«. Beim dritten Versuch fand ich die Vene. Ihre Pupillen weiteten sich, langsam wie eine schwarze Rose, und Blut tropfte von ihrem Unterarm und landete mit einem matten Seufzen auf dem Teppich. Dann kippte ihr Kopf nach hinten. Tags darauf rief sie mich an und wollte mehr. Die Räder kreischen auf dem Asphalt.
Wir hätten etwas aus diesem Leben machen können, du und ich. Das war der Plan, das war der tiefere Sinn. Aber was der Sinn von dem hier ist, ahne ich nicht einmal.
Kapitel 40 – Bonnie Tyler
Es war ein trauriger, kurzer und im Großen und Ganzen unnötiger Tag. Bleigraue Wolken schleppten sich regenschwanger über die Stadt, ohne einen Tropfen zu verlieren, und vereinzelte Böen raschelten mit dem Papier der Magazine im Zeitungsständer vor Eimers Frucht-&-Tabak-Kiosk. Die Schlagzeilen der Zeitungen deuteten an, dass die Menschen den so genannten Krieg gegen den Terrorismus langsam leid waren. Das Ganze hatte längst den klebrigen Klang von Wahlpropaganda, und auch über den Sinn durfte man sich Gedanken machen, da niemand wusste, wo der Hauptschuldige abgeblieben war. Einige meinten sogar, er sei tot. Die Zeitungen begannen deshalb wieder, Platz für Reality-TV-Starlets und ausländische Promis einzuräumen, die etwas Nettes über einen Norweger gesagt hatten, sowie für die Ferienpläne des Königshauses. Das Einzige, was die ereignislose Monotonie störte, war die Schießerei im Containerhafen, bei der ein gesuchter Mörder und Drogendealer die Waffe gegen einen Polizisten erhoben hatte, jedoch getötet worden war, ehe er selbst hatte schießen können. Der Heroinfund in der Wohnung des Toten sei ansehnlich, sagte der Leiter des Dezernats für Betäubungsmitteldelikte, während der Chef des Dezernats für Gewaltverbrechen bekannt gab, dass die Ermittlungen in dem Mordfall, dessen der 32-jährige verdächtigt wird, noch nicht abgeschlossen seien. Der Zeitung mit dem spätesten Redaktionsschluss war es aber gelungen, eine Meldung unterzubringen, nach der die Beweise gegen den Mann, der nicht ausländischer Herkunft war, erdrückend seien. Und dass es sich bei dem beteiligten Polizisten interessanterweise um den gleichen handele, der im letzten Jahr den Neonazi Sverre Olsen bei einer ähnlichen Festnahme im Haus von Olsen erschossen hatte. Der Polizist sei bis zur Klärung der Umstände durch die
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