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Die Fährte

Die Fährte

Titel: Die Fährte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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sehen.«
     
    Der Wind nahm zu. Im Westen hatten schwarze Popcornwolken begonnen, den blauen Himmel aufzufressen. Die Böen machten den Pfützen in der roten Asche eine Gänsehaut und verwischten das Spiegelbild von Trond Grette, der den Ball zu einem neuen Service in die Luft warf.
    »Hallo«, sagte Trond und schlug gegen den Ball, der sich langsam durch die Luft spann. Ein kleines Wölkchen weißer Kreide stäubte hoch, als der Ball auf der anderen Seite des Netzes die Linie traf, wo er, für den unsichtbaren Gegner kaum retournierbar, aufsprang.
    Trond drehte sich zu Harry und Beate um, die auf der Außenseite des Stahlnetzes standen. Er trug ein weißes Tennishemd, weiße Tennisshorts, weiße Strümpfe und weiße Schuhe.
    »Perfekt, nicht wahr?«, stellte er lächelnd fest.
    »Fast«, sagte Harry.
    Trond lächelte nur noch breiter, hielt sich die Hand über die Augen und blickte zum Himmel auf. »Sieht aus, als würde es wieder zuziehen. Was kann ich für Sie tun?«
    »Sie können mit uns ins Präsidium kommen«, sagte Harry.
    »Präsidium?« Er sah sie überrascht an. Das heißt, er versuchte, überrascht auszusehen. Er riss die Augen etwas zu theatralisch auf, und in seiner Stimme klang ein beinahe affektierter Ton mit, den sie früher bei ihm nie gehört hatten. Seine Stimme war übertrieben tief und stieg zum Schluss in die Höhe: Präsi-di-um? Harry spürte, wie sich seine Nackenhaare aufstellten.
    »Und zwar sofort«, sagte Beate.
    »Ah ja.« Trond nickte, als sei ihm soeben etwas aufgegangen, dann lächelte er wieder. »Natürlich.« Er begann in Richtung Bank zu gehen, auf der ein paar Schläger unter einem grauen Mantel hervorragten. Seine Schuhe schlurften über die Asche.
    »Er hat die Kontrolle über sich verloren«, flüsterte Beate, »ich lege ihm Handschellen an.«
    »Nein …«, begann er und griff nach ihrem Arm, doch sie hatte die Gittertür bereits aufgestoßen und war auf den Platz getreten. Plötzlich schien sich die Zeit irgendwie zu weiten, sich aufzublasen wie ein Airbag, so dass sich Harry kaum mehr bewegen konnte. Durch das Gitter sah er, wie Beate mit den Fingern nach den Handschellen tastete, die sie am Gürtel befestigt hatte. Er hörte Tronds Tennisschuhe auf der Asche. Kleine Schritte. Wie ein Astronaut. Automatisch hob sich Harrys Hand zum Griff der Pistole in seinem Schultergurt unter der Jacke.
    »Grette, es tut mir Leid …«, konnte Beate noch sagen, ehe Trond die Bank erreichte und unter den grauen Mantel griff. Die Zeit hatte jetzt zu atmen begonnen, sie krümmte und weitete sich in einer einzigen Bewegung. Harry spürte, wie sich seine Finger um den Griff der Waffe legten, doch er wusste, dass noch eine Unendlichkeit zwischen diesem Moment lag und demjenigen, in dem er die Waffe gezückt, geladen, entsichert und gezielt hätte. Unter Beates gehobenem Arm sah er etwas im Sonnenlicht aufblitzen.
    »Mir auch«, sagte Trond und hob das stahlgraue und olivgrüne AG3-Gewehr an die Schulter. Sie zuckte einen Schritt zurück.
    »Meine Liebe«, sagte Trond leise. »Bleib ganz, ganz ruhig stehen, wenn du noch ein paar Sekunden leben willst.«
     
    »Wir haben uns geirrt«, sagte Harry und drehte sich vom Fenster weg zu den Anwesenden. »Stine Grette wurde nicht von Lev getötet, sondern von ihrem eigenen Ehemann, Trond Grette.«
    Die Unterhaltung zwischen dem Polizeipräsidenten und Ivarsson brach ab, Møller richtete sich im Stuhl auf, Halvorsen vergaß zu notieren und selbst Weber legte seinen appetitlosen Ausdruck ab.
    Es war Møller, der schließlich das Schweigen brach. »Dieser Buchhaltertyp?«
    Harry nickte den ungläubigen Gesichtern zu.
    »Das ist doch nicht möglich«, sagte Weber. »Wir haben den Film aus dem 7-Eleven und die Fingerabdrücke auf der Colaflasche, die keinen Zweifel daran lassen, dass der Täter Lev Grette ist.«
    »Wir haben die Handschrift auf dem Abschiedsbrief«, sagte Ivarsson.
    »Und wenn ich mich recht erinnere, hat uns Raskol persönlich den Tipp gegeben, dass der Täter Lev Grette ist«, gab der Polizeipräsident zu bedenken.
    »Sieht aus, als ob die Sache ziemlich klar wäre«, meinte Møller. »Ziemlich aufgeklärt.«
    »Lasst es mich erklären«, sagte Harry.
    »Ja bitte, das wäre nett«, sagte der Polizeipräsident.
     
    Die Wolken hatten Fahrt aufgenommen und kamen jetzt wie eine schwarze Armada über das Aker-Krankenhaus herangesegelt.
    »Mach keine Dummheiten, Harry«, sagte Trond. Die Mündung des Gewehres lag an Beates Stirn. »Leg die

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