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Die Fährte

Die Fährte

Titel: Die Fährte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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wenn Bjarne Møller an diesem Abend nicht ausgerechnet ihn angerufen hätte.
    »Ich weiß, dass dein Dienst gerade zu Ende ist«, sagte Møller, »aber wir haben gerade sehr wenig Leute. Eine Frau ist tot in ihrer Wohnung gefunden worden. Sieht aus, als hätte sie sich erschossen. Kannst du dir das mal anschauen?«
    »Klar, Chef«, sagte Harry. »Das schulde ich dir heute. Ivarsson hat die Parallelermittlung heute übrigens als seine eigene Idee vorgestellt.«
    »Was hättest du getan, wenn du als Chef einen solchen Befehl von oben erhalten hättest?«
    »Ich als Chef? Diese Idee hat keine Substanz, Chef. Wie komme ich zu dieser Wohnung?«
    »Bleib zu Hause, dann wirst du abgeholt.«
    Zwanzig Minuten später klingelte die Türglocke. Ein Laut, den Harry so selten hörte, dass er zusammenzuckte. Die Stimme, die sagte, das Taxi sei da, war durch die Sprechanlage metallisch verzerrt, dennoch spürte Harry, wie sich seine Nackenhaare sträubten. Und als er nach unten kam und den flachen, roten Sportwagen sah, einen Toyota MR2, bestätigten sich seine Befürchtungen.
    »Guten Abend, Hole.« Die Stimme erklang durch das geöffnete Fenster, das jedoch so tief unten über dem Asphalt war, dass Harry nicht sehen konnte, wer sprach. Harry öffnete die Autotür und wurde von einem Funkbass begrüßt, einer Orgel, synthetisch wie blaue Drops, und einer unverkennbaren Falsettstimme: » You sexy motherfucker !«
    Harry kletterte mit etwas Mühe in den engen Schalensitz.
    »Dann trifft es also uns zwei, heute Abend«, sagte Kommissar Tom Waaler, öffnete seine teutonischen Kiefer und entblößte seine beeindruckend fehlerfreien Zähne in seinem sonnengebräunten Gesicht. Doch die polarblauen Augen blieben unverändert kalt. Es gab viele im Polizeipräsidium, die Harry nicht mochten, doch soweit er wusste, gab es bloß einen, der ihn richtiggehend hasste. Harry wusste, dass er in Waalers Augen ein unwürdiger Repräsentant des Polizeikorps und damit eine persönliche Beleidigung war. Harry hatte bei mehreren Gelegenheiten deutlich gemacht, dass er Waalers braun gesprenkelte Ansichten über Schwule, Kommunisten, Sozialhilfeempfänger, Pakistanis, Japsen, Nigger und Türken im Gegensatz zu einigen anderen Kollegen nicht teilte, während Waaler seinerseits Harry als besoffenen Rockreporter tituliert hatte. Doch Harry hatte den Verdacht, dass der wirkliche Grund dafür, dass Waaler ihn nicht mochte, sein Hang zum Alkohol war. Denn Tom Waaler konnte Schwäche nicht akzeptieren. Harry glaubte auch, dass das der Grund war, warum Waaler so viele Stunden mit immer neuen Trainingseinheiten und wechselnden Sparringspartnern im Fitnessraum verbrachte. In der Kantine hatte er gehört, wie einer der jungen Angestellten mit Begeisterung darüber berichtet hatte, dass Waaler einem der Karatejungs der Vietnamesengang im Bahnhof beide Arme gebrochen hatte. In Anbetracht von Waalers Ansichten über Hautfarben fand Harry es geradezu paradox, dass sein Kollege so viel Zeit unter dem Solarium des Fitnessraums verbrachte, doch vielleicht stimmte es ja, was ihm jemand als Witz geflüstert hatte: dass Waaler nämlich im Grunde gar kein Rassist war, schließlich verprügelte er ebenso gerne Neonazis wie Schwarze.
    Nebst dem, was alle wussten, gab es aber auch noch etwas, was niemand wusste, das aber einige wenige trotzdem spürten. Es lag mehr als ein Jahr zurück, dass Sverre Olsen – die einzige Person, die ihnen hätte sagen können, warum Ellen Gjelten sterben musste – mit einer abgefeuerten Pistole in der Hand und Waalers Kugel zwischen den Augen auf seinem Bett gefunden worden war.
    »Vorsichtig, Waaler.«
    »Wie meinen?«
    Harry streckte seine Hand aus und drehte das Liebesgestöhne leiser. »Es ist glatt heute Abend.«
    Der Motor summte wie eine Nähmaschine, doch das Geräusch betrog, denn die Beschleunigung ließ Harry den harten Sitz spüren. Sie rasten den Hügel am Stenspark vorbei und passierten die Suhms Gate.
    »Wohin fahren wir?«, fragte Harry.
    »Hierhin«, antwortete Waaler und bog unmittelbar vor einem entgegenkommenden Auto nach links ab. Das Fenster war noch immer offen und Harry hörte das schmatzende Geräusch des nassen Laubes unter den Reifen.
    »Willkommen zurück im Dezernat für Gewaltverbrechen«, sagte Harry. »Wollten sie dich nicht im Überwachungsdienst?«
    »Umstrukturierung«, sagte Waaler. »Außerdem wollten mich der Polizeipräsident und Møller zurückhaben. Ich hatte hier ja ganz gute Ergebnisse, falls du dich

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