Die Fährte
Hotelkette Choice gestern alle Aktien der Albu AS übernommen hat. Arne Albu sagt, es sei der Wunsch nach mehr Zeit für seine Familie, der ihn bewogen habe, das erfolgreiche Unternehmen zu verkaufen. ›Ich möchte dabei sein, wenn meine Kinder heranwachsen‹, sagte Albu in einem Kommentar. ›Die Familie ist meine wichtigste Investition. ‹«
Harry klickte auf »Print«.
»Willst du nicht auch den Rest des Artikels bestellen?«
»Nein, ich brauche bloß das Bild«, sagte Harry.
»Dreißig Millionen auf der Bank, und jetzt überfällt er sie auch noch?«
»Ich werde dir das später erklären«, sagte Harry und stand auf. »In der Zwischenzeit kannst du mir vielleicht erklären, wie man den Absender einer E-Mail aufspüren kann.«
»Die Absenderadresse steht auf der Mail, die du bekommst.«
»Und die finde ich dann im Telefonbuch, oder?«
»Nein, aber du kannst herausfinden, über welchen Server sie verschickt worden ist, das geht aus der Adresse hervor. Und die Besitzer der Server haben die Übersicht darüber, welche Abonnenten über welche Adressen verfügen. Ganz einfach. Hast du eine interessante Mail bekommen?«
Harry schüttelte den Kopf.
»Gib mir die Adresse. Ich finde das für dich in null Komma nichts heraus«, sagte Halvorsen.
»Gut, hast du schon mal von einem Server gehört, der bolde dot com heißt?«
»Nein, aber das werde ich herausfinden. Wie lautet der Rest der Adresse?«
Harry zögerte. »Weiß nicht mehr«, sagte er.
Harry requirierte einen Wagen in der Garage und fuhr langsam durch Grønland. Ein fieser Wind wirbelte das Laub auf, das im gestrigen Sonnenschein am Rand der Bürgersteige getrocknet war. Die Menschen hatten ihre Hände in den Manteltaschen vergraben und die Köpfe zwischen die Schultern gezogen.
In der Pilestrede hängte sich Harry hinter eine Straßenbahn und suchte den ständigen NRK-Nachrichtensender im Radio. Sie sagten nichts über den Stine-Fall. Aber es wurden Befürchtungen geäußert, dass Hunderttausende von Flüchtlingskindern im harten afghanischen Winter ihr Leben lassen könnten. Ein amerikanischer Soldat war getötet worden. Seine Familie wurde interviewt. Sie wollten Rache. In Bislett war die Straße wegen einer Umleitung gesperrt.
»Ja?« Eine Silbe durch die Türsprechanlage reichte schon, um zu erkennen, dass Astrid Monsen kräftig erkältet war.
»Harry Hole. Danke für Ihr bisheriges Mitwirken. Ich hätte trotzdem noch einmal ein paar Fragen. Hätten Sie einen Moment Zeit?«
Sie schniefte zweimal, ehe sie antwortete: »Worum geht es?«
»Ich möchte das eigentlich nicht hier draußen auf der Straße kundtun.«
Sie schniefte erneut zweimal.
»Passt es jetzt nicht?«, fragte Harry.
Dann summte der Öffner und Harry drückte die Tür auf.
Astrid Monsen stand auf dem Flur, sie hatte sich einen Schal um die Schultern geschlungen und die Arme verschränkt, als Harry die Treppe hinaufkam.
»Ich habe Sie auf der Beerdigung gesehen«, sagte Harry.
»Ich fand, dass wenigstens einer der Nachbarn kommen sollte.« Es klang beinahe so, als würde sie durch ein Megaphon sprechen.
»Ich frage mich, ob Sie eine dieser Personen wiedererkennen?«
Zögernd nahm sie die zerknitterte Fotografie entgegen. »Welche von denen?«
»Eigentlich egal.« Harrys Stimme hallte durch das Treppenhaus.
Astrid Monsen starrte auf das Bild. Lange.
»Nun?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Sicher?«
Sie nickte.
»Hm. Wissen Sie, ob Anna einen Liebhaber hatte?«
»Einen?«
Harry holte tief Luft. »Wollen Sie damit andeuten, dass es mehrere gab?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Das Haus ist hellhörig. Manchmal habe ich die Treppe gehört, um es mal so auszudrücken.«
»Etwas Ernstes?«
»Das weiß ich doch nicht.«
Harry wartete. »Im Sommer hing ein Zettel neben dem ihren auf dem Briefkasten, aber ich weiß natürlich nicht, ob das etwas Ernstes war …«
»Nein?«
»Es sah wie ihre Schrift aus. ›Eriksen‹ stand da bloß.« Ihre schmalen Lippen deuteten ein Lächeln an. »Vielleicht hat er vergessen, ihr seinen Vornamen zu sagen. Auf jeden Fall war der Zettel nach einer Woche wieder weg.«
Harry warf einen Blick über das Geländer. Es war eine steile Treppe. »Eine Woche kann besser sein als gar keine Woche. Nicht wahr?«
»Für manche vielleicht«, sagte sie und legte ihre Hand auf die Türklinke. »Ich muss jetzt gehen, ich habe gehört, dass ich eine E-Mail bekommen habe.«
»Die läuft Ihnen doch nicht davon.«
Sie wurde von einem Niesanfall
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